Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.§. 6. Entstehung staatsrechtlicher Rechtssätze etc. Die Annahme einer Entstehung öffentlicher Rechtedurch Ersitzung würde dem Wesen des heutigen Staats- rechts widersprechen; 12 denn die Zulässigkeit, die Zahl und der Inhalt öffentlicher Rechte steht im organischen Staate unter der Fügung absoluter Normen, welche diese Form der Localisirung staatlicher Kräfte gemäss dem Zusammenhange des gesammten Staatsinteresses reguliren. Sonach kann weder die Zahl noch die Ge- staltung des Inhalts dieser Rechte einer Erwerbsfreiheit preis gegeben sein, welche jede Regel willkührlich durch- brechen würde, da sie ihren Grund13 in dem völlig un- wird dabei im modernen Staatsrechte immer nur als ein vorberei- tendes Element in Frage kommen können, sofern es sich nicht etwa um die Bestimmung von Rechten handelt, welche der freien Ver- fügung der Staatsgewalt nicht unterliegen, wie z. B. die Rechte der Standesherren. 12 Eine Berufung auf unvordenkliche Zeit ist aber auch hier zulässig, da sie ja nur die Vermuthung begründet, dass ein Zu- stand rechtsgültig (hier: staatsrechtlich gültig) entstanden sei. Ortloff, juristische Abhandlungen und Rechtsfälle, 2. Bd. 1857 S. 112. -- Aus den gleichen Gründen, aus denen die Ersitzung öffentlicher Rechte im heutigen Staatsrechte keinen Raum findet, kann auch von der erlöschenden Verjährung von Ansprüchen aus öffentlichen Rechten jetzt nicht mehr die Rede sein. -- Ganz an- ders das ältere deutsche Staatsrecht, welches die Ersitzung öffent- licher Rechte für zulässig erklärte, weil statt des Gedankens eines organischen Staats sowohl im Reiche als in den Territorien eine Verbindung von Befugnissen wesentlich privatrechtlicher Art be- stand. Vergl. die Citate bei Zachariä, deutsches Staats- und Bundesrecht, §. 63. No. 6--8. 13 Alles Vorstehende bezieht sich auf einen Rechtserwerb, durch welchen ein öffentliches Recht selbst substantiell begründet werden soll. Eine andere Behandlung erfordert die Frage über den Erwerb des Rechts auf ein öffentliches Recht, welches (wie das Institut des Monarchenrechts) schon an sich, oder angeknüpft an eine privatrechtliche Voraussetzung (wie z. B. den Besitz eines v. Gerber, Staatsrecht. 2
§. 6. Entstehung staatsrechtlicher Rechtssätze etc. Die Annahme einer Entstehung öffentlicher Rechtedurch Ersitzung würde dem Wesen des heutigen Staats- rechts widersprechen; 12 denn die Zulässigkeit, die Zahl und der Inhalt öffentlicher Rechte steht im organischen Staate unter der Fügung absoluter Normen, welche diese Form der Localisirung staatlicher Kräfte gemäss dem Zusammenhange des gesammten Staatsinteresses reguliren. Sonach kann weder die Zahl noch die Ge- staltung des Inhalts dieser Rechte einer Erwerbsfreiheit preis gegeben sein, welche jede Regel willkührlich durch- brechen würde, da sie ihren Grund13 in dem völlig un- wird dabei im modernen Staatsrechte immer nur als ein vorberei- tendes Element in Frage kommen können, sofern es sich nicht etwa um die Bestimmung von Rechten handelt, welche der freien Ver- fügung der Staatsgewalt nicht unterliegen, wie z. B. die Rechte der Standesherren. 12 Eine Berufung auf unvordenkliche Zeit ist aber auch hier zulässig, da sie ja nur die Vermuthung begründet, dass ein Zu- stand rechtsgültig (hier: staatsrechtlich gültig) entstanden sei. Ortloff, juristische Abhandlungen und Rechtsfälle, 2. Bd. 1857 S. 112. — Aus den gleichen Gründen, aus denen die Ersitzung öffentlicher Rechte im heutigen Staatsrechte keinen Raum findet, kann auch von der erlöschenden Verjährung von Ansprüchen aus öffentlichen Rechten jetzt nicht mehr die Rede sein. — Ganz an- ders das ältere deutsche Staatsrecht, welches die Ersitzung öffent- licher Rechte für zulässig erklärte, weil statt des Gedankens eines organischen Staats sowohl im Reiche als in den Territorien eine Verbindung von Befugnissen wesentlich privatrechtlicher Art be- stand. Vergl. die Citate bei Zachariä, deutsches Staats- und Bundesrecht, §. 63. No. 6—8. 13 Alles Vorstehende bezieht sich auf einen Rechtserwerb, durch welchen ein öffentliches Recht selbst substantiell begründet werden soll. Eine andere Behandlung erfordert die Frage über den Erwerb des Rechts auf ein öffentliches Recht, welches (wie das Institut des Monarchenrechts) schon an sich, oder angeknüpft an eine privatrechtliche Voraussetzung (wie z. B. den Besitz eines v. Gerber, Staatsrecht. 2
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§. 6. Entstehung staatsrechtlicher Rechtssätze etc.
Die Annahme einer Entstehung öffentlicher Rechte
durch Ersitzung würde dem Wesen des heutigen Staats-
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und der Inhalt öffentlicher Rechte steht im organischen
Staate unter der Fügung absoluter Normen, welche
diese Form der Localisirung staatlicher Kräfte gemäss
dem Zusammenhange des gesammten Staatsinteresses
reguliren. Sonach kann weder die Zahl noch die Ge-
staltung des Inhalts dieser Rechte einer Erwerbsfreiheit
preis gegeben sein, welche jede Regel willkührlich durch-
brechen würde, da sie ihren Grund 13 in dem völlig un-
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12 Eine Berufung auf unvordenkliche Zeit ist aber auch hier
zulässig, da sie ja nur die Vermuthung begründet, dass ein Zu-
stand rechtsgültig (hier: staatsrechtlich gültig) entstanden sei.
Ortloff, juristische Abhandlungen und Rechtsfälle, 2. Bd. 1857
S. 112. — Aus den gleichen Gründen, aus denen die Ersitzung
öffentlicher Rechte im heutigen Staatsrechte keinen Raum findet,
kann auch von der erlöschenden Verjährung von Ansprüchen aus
öffentlichen Rechten jetzt nicht mehr die Rede sein. — Ganz an-
ders das ältere deutsche Staatsrecht, welches die Ersitzung öffent-
licher Rechte für zulässig erklärte, weil statt des Gedankens eines
organischen Staats sowohl im Reiche als in den Territorien eine
Verbindung von Befugnissen wesentlich privatrechtlicher Art be-
stand. Vergl. die Citate bei Zachariä, deutsches Staats- und
Bundesrecht, §. 63. No. 6—8.
13 Alles Vorstehende bezieht sich auf einen Rechtserwerb,
durch welchen ein öffentliches Recht selbst substantiell begründet
werden soll. Eine andere Behandlung erfordert die Frage über
den Erwerb des Rechts auf ein öffentliches Recht, welches (wie das
Institut des Monarchenrechts) schon an sich, oder angeknüpft an
eine privatrechtliche Voraussetzung (wie z. B. den Besitz eines
11 wird dabei im modernen Staatsrechte immer nur als ein vorberei-
tendes Element in Frage kommen können, sofern es sich nicht etwa
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