Gerber, Carl Friedrich von: Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrecht. Leipzig, 1865.Erster Abschnitt. leisten hat; aber der Staat kann die ihm gestellte all-gemeine Aufgabe nicht lösen, wenn er nicht darauf rechnen darf, dass die Gemeinden ihre besondere Auf- gabe erfüllen. So betrachtet er sie als seine natürliche Ergänzung, durch welche er erst in die Lage versetzt wird, seinen, das Volk als Ganzes ergreifenden Beruf zu erfüllen; so kommt es, dass er seine eigene Lebens- fähigkeit wesentlich auf ihr Bestehen und ihr dem Gan- zen fördersames Wirken stützt;2 und so erklärt es sich, warum er auch sie in den Kreis der Personen und Sachen erhebt, an welche sich unmittelbar sein staat- liches Herrschaftsrecht anknüpft. Daher kann er auch ihre innere Organisation und Entwickelung nicht der individuellen Willkühr preis geben, sondern macht die Gemeindeordnung selbst zu einer der wichtigsten An- gelegenheiten der Staatsgesetzgebung,3 und sorgt, in- 2 Manche Verfassungsurkunden drücken diess durch den Satz aus: die Gemeinden sind die Grundlage des Staats. Württem- bergische Verfassungsurkunde §. 62. Damit dieser Satz, der eigentlich kein Rechtssatz, sondern eine politische Ansicht ist, praktische Bedeutung erlange, ist aus ihm wohl in zu formalisti- scher Anschauung die Consequenz gezogen worden, dass es im Staate keinen Menschen geben könne, der nicht irgend einer Ge- meinde, wenn auch nur dem Namen nach, angehöre, und kein Grundstück, das nicht Bestandtheil einer Gemeindemarkung sei. Man ist dann wohl soweit gegangen, auch den Staatswald in die kleinen Dorfmarkungen einzuzwängen, welche durch Anweisung abgeholzter Stellen zur Ansiedelung von Holzarbeitern entstan- den sind. 3 Die Gemeindeordnung ist Sache der Staatsgesetzgebung.
Es steht ihr heutzutage kein Recht der Autonomie zu. Gerber, System des deutschen Privatrechts, §. 29. und seine dort ange- führten Abhandlungen. Auch wenn die Gemeindeordnung manche Punkte offen lässt und die Gemeinden gesetzlich bevollmächtigt, darüber in s. g. Localstatuten ergänzende Bestimmungen zu Erster Abschnitt. leisten hat; aber der Staat kann die ihm gestellte all-gemeine Aufgabe nicht lösen, wenn er nicht darauf rechnen darf, dass die Gemeinden ihre besondere Auf- gabe erfüllen. So betrachtet er sie als seine natürliche Ergänzung, durch welche er erst in die Lage versetzt wird, seinen, das Volk als Ganzes ergreifenden Beruf zu erfüllen; so kommt es, dass er seine eigene Lebens- fähigkeit wesentlich auf ihr Bestehen und ihr dem Gan- zen fördersames Wirken stützt;2 und so erklärt es sich, warum er auch sie in den Kreis der Personen und Sachen erhebt, an welche sich unmittelbar sein staat- liches Herrschaftsrecht anknüpft. Daher kann er auch ihre innere Organisation und Entwickelung nicht der individuellen Willkühr preis geben, sondern macht die Gemeindeordnung selbst zu einer der wichtigsten An- gelegenheiten der Staatsgesetzgebung,3 und sorgt, in- 2 Manche Verfassungsurkunden drücken diess durch den Satz aus: die Gemeinden sind die Grundlage des Staats. Württem- bergische Verfassungsurkunde §. 62. Damit dieser Satz, der eigentlich kein Rechtssatz, sondern eine politische Ansicht ist, praktische Bedeutung erlange, ist aus ihm wohl in zu formalisti- scher Anschauung die Consequenz gezogen worden, dass es im Staate keinen Menschen geben könne, der nicht irgend einer Ge- meinde, wenn auch nur dem Namen nach, angehöre, und kein Grundstück, das nicht Bestandtheil einer Gemeindemarkung sei. Man ist dann wohl soweit gegangen, auch den Staatswald in die kleinen Dorfmarkungen einzuzwängen, welche durch Anweisung abgeholzter Stellen zur Ansiedelung von Holzarbeitern entstan- den sind. 3 Die Gemeindeordnung ist Sache der Staatsgesetzgebung.
Es steht ihr heutzutage kein Recht der Autonomie zu. Gerber, System des deutschen Privatrechts, §. 29. und seine dort ange- führten Abhandlungen. Auch wenn die Gemeindeordnung manche Punkte offen lässt und die Gemeinden gesetzlich bevollmächtigt, darüber in s. g. Localstatuten ergänzende Bestimmungen zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0074" n="56"/><fw place="top" type="header">Erster Abschnitt.</fw><lb/> leisten hat; aber der Staat kann die ihm gestellte all-<lb/> gemeine Aufgabe nicht lösen, wenn er nicht darauf<lb/> rechnen darf, dass die Gemeinden ihre besondere Auf-<lb/> gabe erfüllen. So betrachtet er sie als seine natürliche<lb/> Ergänzung, durch welche er erst in die Lage versetzt<lb/> wird, seinen, das Volk als Ganzes ergreifenden Beruf<lb/> zu erfüllen; so kommt es, dass er seine eigene Lebens-<lb/> fähigkeit wesentlich auf ihr Bestehen und ihr dem Gan-<lb/> zen fördersames Wirken stützt;<note place="foot" n="2">Manche Verfassungsurkunden drücken diess durch den Satz<lb/> aus: die Gemeinden sind die Grundlage des Staats. Württem-<lb/> bergische Verfassungsurkunde §. 62. Damit dieser Satz, der<lb/> eigentlich kein Rechtssatz, sondern eine politische Ansicht ist,<lb/> praktische Bedeutung erlange, ist aus ihm wohl in zu formalisti-<lb/> scher Anschauung die Consequenz gezogen worden, dass es im<lb/> Staate keinen Menschen geben könne, der nicht irgend einer Ge-<lb/> meinde, wenn auch nur dem Namen nach, angehöre, und kein<lb/> Grundstück, das nicht Bestandtheil einer Gemeindemarkung sei.<lb/> Man ist dann wohl soweit gegangen, auch den Staatswald in die<lb/> kleinen Dorfmarkungen einzuzwängen, welche durch Anweisung<lb/> abgeholzter Stellen zur Ansiedelung von Holzarbeitern entstan-<lb/> den sind.</note> und so erklärt es sich,<lb/> warum er auch sie in den Kreis der Personen und<lb/> Sachen erhebt, an welche sich unmittelbar sein staat-<lb/> liches Herrschaftsrecht anknüpft. Daher kann er auch<lb/> ihre innere Organisation und Entwickelung nicht der<lb/> individuellen Willkühr preis geben, sondern macht die<lb/> Gemeindeordnung selbst zu einer der wichtigsten An-<lb/> gelegenheiten der Staatsgesetzgebung,<note xml:id="note-0074" next="#note-0075" place="foot" n="3">Die Gemeindeordnung ist Sache der Staatsgesetzgebung.<lb/> Es steht ihr heutzutage kein Recht der Autonomie zu. <hi rendition="#g">Gerber,</hi><lb/> System des deutschen Privatrechts, §. 29. und seine dort ange-<lb/> führten Abhandlungen. Auch wenn die Gemeindeordnung manche<lb/> Punkte offen lässt und die Gemeinden gesetzlich bevollmächtigt,<lb/> darüber in s. g. Localstatuten ergänzende Bestimmungen zu</note> und sorgt, in-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0074]
Erster Abschnitt.
leisten hat; aber der Staat kann die ihm gestellte all-
gemeine Aufgabe nicht lösen, wenn er nicht darauf
rechnen darf, dass die Gemeinden ihre besondere Auf-
gabe erfüllen. So betrachtet er sie als seine natürliche
Ergänzung, durch welche er erst in die Lage versetzt
wird, seinen, das Volk als Ganzes ergreifenden Beruf
zu erfüllen; so kommt es, dass er seine eigene Lebens-
fähigkeit wesentlich auf ihr Bestehen und ihr dem Gan-
zen fördersames Wirken stützt; 2 und so erklärt es sich,
warum er auch sie in den Kreis der Personen und
Sachen erhebt, an welche sich unmittelbar sein staat-
liches Herrschaftsrecht anknüpft. Daher kann er auch
ihre innere Organisation und Entwickelung nicht der
individuellen Willkühr preis geben, sondern macht die
Gemeindeordnung selbst zu einer der wichtigsten An-
gelegenheiten der Staatsgesetzgebung, 3 und sorgt, in-
2 Manche Verfassungsurkunden drücken diess durch den Satz
aus: die Gemeinden sind die Grundlage des Staats. Württem-
bergische Verfassungsurkunde §. 62. Damit dieser Satz, der
eigentlich kein Rechtssatz, sondern eine politische Ansicht ist,
praktische Bedeutung erlange, ist aus ihm wohl in zu formalisti-
scher Anschauung die Consequenz gezogen worden, dass es im
Staate keinen Menschen geben könne, der nicht irgend einer Ge-
meinde, wenn auch nur dem Namen nach, angehöre, und kein
Grundstück, das nicht Bestandtheil einer Gemeindemarkung sei.
Man ist dann wohl soweit gegangen, auch den Staatswald in die
kleinen Dorfmarkungen einzuzwängen, welche durch Anweisung
abgeholzter Stellen zur Ansiedelung von Holzarbeitern entstan-
den sind.
3 Die Gemeindeordnung ist Sache der Staatsgesetzgebung.
Es steht ihr heutzutage kein Recht der Autonomie zu. Gerber,
System des deutschen Privatrechts, §. 29. und seine dort ange-
führten Abhandlungen. Auch wenn die Gemeindeordnung manche
Punkte offen lässt und die Gemeinden gesetzlich bevollmächtigt,
darüber in s. g. Localstatuten ergänzende Bestimmungen zu
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |