Gleim, Johann Wilhelm Ludwig: Versuch in Scherzhaften Liedern. Bd. 2. Berlin, 1745.Kleist du must, wenn ich einst sterbe, Mein getreues Mädchen trösten. Als ich nach volbrachter Bitte, Wieder nach dem Mädchen sahe, Sah ich noch die Tränen fliessen; Und ich stahl den Weisen Gründe, Und ich sprach mit Trauerminen: Weine nicht, gebeugtes Mädchen, Weine nicht um deinen Liebling. Lebt er doch anitzt im Himmel, Gönn ihm doch das Glükk der Engel, Murre nicht mit dem Geschikke! Aber das gebeugte Mädchen Murrte doch mit dem Geschikke; Denn von den erblaßten Wangen Flossen noch viel heisse Tränen, Als ich ausgetröstet hatte. Ich verließ hierauf das Mädchen, Und begleitete die Leiche, Ihres Lieblings in den Tempel. Und nach zwanzig Todtenseufzern, Welche mich ein Redner lehrte, Ging ich wieder zu dem Mädchen. Und ich tröstete von neuen, Kleiſt du muſt, wenn ich einſt ſterbe, Mein getreues Mädchen tröſten. Als ich nach volbrachter Bitte, Wieder nach dem Mädchen ſahe, Sah ich noch die Tränen flieſſen; Und ich ſtahl den Weiſen Gründe, Und ich ſprach mit Trauerminen: Weine nicht, gebeugtes Mädchen, Weine nicht um deinen Liebling. Lebt er doch anitzt im Himmel, Gönn ihm doch das Glükk der Engel, Murre nicht mit dem Geſchikke! Aber das gebeugte Mädchen Murrte doch mit dem Geſchikke; Denn von den erblaßten Wangen Floſſen noch viel heiſſe Tränen, Als ich ausgetröſtet hatte. Ich verließ hierauf das Mädchen, Und begleitete die Leiche, Ihres Lieblings in den Tempel. Und nach zwanzig Todtenſeufzern, Welche mich ein Redner lehrte, Ging ich wieder zu dem Mädchen. Und ich tröſtete von neuen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0088" n="62"/> <lg xml:id="pf2" prev="#pf1" type="poem" next="#pf3"> <l><hi rendition="#fr">Kleiſt</hi> du muſt, wenn ich einſt ſterbe,</l><lb/> <l>Mein getreues Mädchen tröſten.</l><lb/> <l>Als ich nach volbrachter Bitte,</l><lb/> <l>Wieder nach dem Mädchen ſahe,</l><lb/> <l>Sah ich noch die Tränen flieſſen;</l><lb/> <l>Und ich ſtahl den Weiſen Gründe,</l><lb/> <l>Und ich ſprach mit Trauerminen:</l><lb/> <l>Weine nicht, gebeugtes Mädchen,</l><lb/> <l>Weine nicht um deinen Liebling.</l><lb/> <l>Lebt er doch anitzt im Himmel,</l><lb/> <l>Gönn ihm doch das Glükk der Engel,</l><lb/> <l>Murre nicht mit dem Geſchikke!</l><lb/> <l>Aber das gebeugte Mädchen</l><lb/> <l>Murrte doch mit dem Geſchikke;</l><lb/> <l>Denn von den erblaßten Wangen</l><lb/> <l>Floſſen noch viel heiſſe Tränen,</l><lb/> <l>Als ich ausgetröſtet hatte.</l><lb/> <l>Ich verließ hierauf das Mädchen,</l><lb/> <l>Und begleitete die Leiche,</l><lb/> <l>Ihres Lieblings in den Tempel.</l><lb/> <l>Und nach zwanzig Todtenſeufzern,</l><lb/> <l>Welche mich ein Redner lehrte,</l><lb/> <l>Ging ich wieder zu dem Mädchen.</l><lb/> <l>Und ich tröſtete von neuen,</l> </lg><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [62/0088]
Kleiſt du muſt, wenn ich einſt ſterbe,
Mein getreues Mädchen tröſten.
Als ich nach volbrachter Bitte,
Wieder nach dem Mädchen ſahe,
Sah ich noch die Tränen flieſſen;
Und ich ſtahl den Weiſen Gründe,
Und ich ſprach mit Trauerminen:
Weine nicht, gebeugtes Mädchen,
Weine nicht um deinen Liebling.
Lebt er doch anitzt im Himmel,
Gönn ihm doch das Glükk der Engel,
Murre nicht mit dem Geſchikke!
Aber das gebeugte Mädchen
Murrte doch mit dem Geſchikke;
Denn von den erblaßten Wangen
Floſſen noch viel heiſſe Tränen,
Als ich ausgetröſtet hatte.
Ich verließ hierauf das Mädchen,
Und begleitete die Leiche,
Ihres Lieblings in den Tempel.
Und nach zwanzig Todtenſeufzern,
Welche mich ein Redner lehrte,
Ging ich wieder zu dem Mädchen.
Und ich tröſtete von neuen,
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