Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.1. Buch. 1. Tit. enthaltene Satzungen für göttliche Gesetze ausgeben,die doch offenbahr keine Gesetze sind; sodann zwei- tens: daß sie bey denen wirklichen göttlichen Gesetzen zwischen natürlichen und willkührlichen Vorschriften nicht genugsam unterscheiden. Wir wollen die Probe machen. Die mosaische Stelle Genes. IX. v. 6. die nach Lu- thers Uebersetzung also lautet: wer Menschendlut vergeußt, des Blut soll auch durch Menschen vergossen werden, ist offenbahr kein Gesez, denn im hebräischen Text wird das futurum (dbshy) gebraucht, es scheint also blos göttliche Prophezeihung zu seyn, daß der Mörder, wenn er auch gleich der weltlichen Obrigkeit verborgen bliebe, dennoch dem göttlichen Ge- richt nicht entgehen, sondern durch Menschen wiederum gewaltsamen Todes sterben werde 52). Will man aber diese Erklärung nicht gelten lassen, sondern jenen Aus- spruch schlechterdings für ein göttliches Gesez erklärt wissen, so kann doch dieses Gesez ohnmöglich als ein allgemeines unwandelbahres göttliches Gesez angesehen werden. Denn sonst wäre es dem Herrn auch wegen seiner Knechte gegeben. Knecht und Freyer sind doch wohl in Gottes Augen eins, da bey Ihm kein Unter- schied der Persohnen gilt; und da niemand dem Blute, das in den Adern eines Sclaven herumwallet, den Nahmen des Menschenbluts absprechen wird, so hätte nothwendig das Gesez, wenn es nach der Absicht Got- tes allgemein wäre, auch den Dienstherrn treffen müssen, der seinen Knecht oder Magd erschlagen. Allein diese That soll nach 2. B. Mose XXI. v. 20. und 21. mit dem Tode nicht, ja auch wohl gar nicht ein- 52) So erklärt diese Mosaische Stelle auch thomasius in
Diss. de iure principis Evang. aggratiandi homicid. cap. IV. §. 4. und hannesen im angeführten Opusculo, §. 31. u. folg. 1. Buch. 1. Tit. enthaltene Satzungen fuͤr goͤttliche Geſetze ausgeben,die doch offenbahr keine Geſetze ſind; ſodann zwei- tens: daß ſie bey denen wirklichen goͤttlichen Geſetzen zwiſchen natuͤrlichen und willkuͤhrlichen Vorſchriften nicht genugſam unterſcheiden. Wir wollen die Probe machen. Die moſaiſche Stelle Geneſ. IX. v. 6. die nach Lu- thers Ueberſetzung alſo lautet: wer Menſchendlut vergeußt, des Blut ſoll auch durch Menſchen vergoſſen werden, iſt offenbahr kein Geſez, denn im hebraͤiſchen Text wird das futurum (דבשי) gebraucht, es ſcheint alſo blos goͤttliche Prophezeihung zu ſeyn, daß der Moͤrder, wenn er auch gleich der weltlichen Obrigkeit verborgen bliebe, dennoch dem goͤttlichen Ge- richt nicht entgehen, ſondern durch Menſchen wiederum gewaltſamen Todes ſterben werde 52). Will man aber dieſe Erklaͤrung nicht gelten laſſen, ſondern jenen Aus- ſpruch ſchlechterdings fuͤr ein goͤttliches Geſez erklaͤrt wiſſen, ſo kann doch dieſes Geſez ohnmoͤglich als ein allgemeines unwandelbahres goͤttliches Geſez angeſehen werden. Denn ſonſt waͤre es dem Herrn auch wegen ſeiner Knechte gegeben. Knecht und Freyer ſind doch wohl in Gottes Augen eins, da bey Ihm kein Unter- ſchied der Perſohnen gilt; und da niemand dem Blute, das in den Adern eines Sclaven herumwallet, den Nahmen des Menſchenbluts abſprechen wird, ſo haͤtte nothwendig das Geſez, wenn es nach der Abſicht Got- tes allgemein waͤre, auch den Dienſtherrn treffen muͤſſen, der ſeinen Knecht oder Magd erſchlagen. Allein dieſe That ſoll nach 2. B. Moſe XXI. v. 20. und 21. mit dem Tode nicht, ja auch wohl gar nicht ein- 52) So erklaͤrt dieſe Moſaiſche Stelle auch thomasius in
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die doch offenbahr keine Geſetze ſind; ſodann zwei-
tens: daß ſie bey denen wirklichen goͤttlichen Geſetzen
zwiſchen natuͤrlichen und willkuͤhrlichen Vorſchriften nicht
genugſam unterſcheiden. Wir wollen die Probe machen.
Die moſaiſche Stelle Geneſ. IX. v. 6. die nach Lu-
thers Ueberſetzung alſo lautet: wer Menſchendlut
vergeußt, des Blut ſoll auch durch Menſchen
vergoſſen werden, iſt offenbahr kein Geſez, denn im
hebraͤiſchen Text wird das futurum (דבשי) gebraucht,
es ſcheint alſo blos goͤttliche Prophezeihung zu ſeyn,
daß der Moͤrder, wenn er auch gleich der weltlichen
Obrigkeit verborgen bliebe, dennoch dem goͤttlichen Ge-
richt nicht entgehen, ſondern durch Menſchen wiederum
gewaltſamen Todes ſterben werde 52). Will man aber
dieſe Erklaͤrung nicht gelten laſſen, ſondern jenen Aus-
ſpruch ſchlechterdings fuͤr ein goͤttliches Geſez erklaͤrt
wiſſen, ſo kann doch dieſes Geſez ohnmoͤglich als ein
allgemeines unwandelbahres goͤttliches Geſez angeſehen
werden. Denn ſonſt waͤre es dem Herrn auch wegen
ſeiner Knechte gegeben. Knecht und Freyer ſind doch
wohl in Gottes Augen eins, da bey Ihm kein Unter-
ſchied der Perſohnen gilt; und da niemand dem Blute,
das in den Adern eines Sclaven herumwallet, den
Nahmen des Menſchenbluts abſprechen wird, ſo haͤtte
nothwendig das Geſez, wenn es nach der Abſicht Got-
tes allgemein waͤre, auch den Dienſtherrn treffen
muͤſſen, der ſeinen Knecht oder Magd erſchlagen.
Allein dieſe That ſoll nach 2. B. Moſe XXI. v. 20.
und 21. mit dem Tode nicht, ja auch wohl gar nicht
ein-
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Zitationshilfe: | Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/168>, abgerufen am 16.02.2025. |