Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791.1. Buch. 5. Tit. §. 124. Vermuthung, nicht für die Dienstbarkeit 57). Nun abersind Bauern freye Leute. Frohnen schränken die Frey- heit ein; Einschränkungen derselben aber können nicht vermuthet, sondern müssen von dem, der einen Nutzen hieraus zu ziehen glaubt, bewiesen werden. Zudem wä- ren die Bauern ihren Ursprung nach keinesweges Leibei- gene, sondern meist freye, ja freygebohrne gewesen. Denn sollte der Zustand der heutigen Bauern aus einer gesche- henen Freylassung herrühren, so müßte dieselbe erst er- wiesen werden, welchen Beweiß man aber noch bis jetzt vermisse. Gesetzt aber auch, daß durch Freylassung die heutigen Bauern ihre Freyheit erlangt hätten, so würde dennoch daraus nicht folgen, daß sie ungemessene Dienste zu thun schuldig wären, weil nicht einmal alle Leibeigene ohne Unterschied ungemessene Dienste geleistet hätten. Ueberhaupt aber sey der ächte historische Grund der Froh, nen vielmehr aus wechselsweisen wirklichen oder stilschwei- genden Verträgen der Guts- und Schutzherrn als aus einer ursprünglichen Leibeigenschaft abzuleiten, wie denn auch an Orten, wo die Leibeigenschaft nie in Uebung ge- wesen, Frohnleistungen angetroffen würden. Allein da- gegen läßt sich einwenden, daß hier von freyen Leuten, die gar keine Frohnen thun, nicht die Rede sey, sondern der Streit ist von Bauern, die sich zu frohnen nicht wei- gern, und fragt sich nur, ob sie gemessene oder ungemes- sene 57) Man beruft sich deshalb auf das Sächsische Landrecht
III. Buch Art. 32. wo es heißt: "welch einkommen Mann (advena) sich frey nennet, den soll man für frey halten, man mag ihn denn das mit Gezeugen vorlegen; (donec per testi- monium hoc reprobetur) wer sich aber frey nennet, und daß ein Andrer spricht, er sey sein eigen, also daß er sich ihm er- geben hab, das mag jener mit seinem Eide wohl unschuldig werden, es sey dann für Gericht geschehen." 1. Buch. 5. Tit. §. 124. Vermuthung, nicht fuͤr die Dienſtbarkeit 57). Nun aberſind Bauern freye Leute. Frohnen ſchraͤnken die Frey- heit ein; Einſchraͤnkungen derſelben aber koͤnnen nicht vermuthet, ſondern muͤſſen von dem, der einen Nutzen hieraus zu ziehen glaubt, bewieſen werden. Zudem waͤ- ren die Bauern ihren Urſprung nach keinesweges Leibei- gene, ſondern meiſt freye, ja freygebohrne geweſen. Denn ſollte der Zuſtand der heutigen Bauern aus einer geſche- henen Freylaſſung herruͤhren, ſo muͤßte dieſelbe erſt er- wieſen werden, welchen Beweiß man aber noch bis jetzt vermiſſe. Geſetzt aber auch, daß durch Freylaſſung die heutigen Bauern ihre Freyheit erlangt haͤtten, ſo wuͤrde dennoch daraus nicht folgen, daß ſie ungemeſſene Dienſte zu thun ſchuldig waͤren, weil nicht einmal alle Leibeigene ohne Unterſchied ungemeſſene Dienſte geleiſtet haͤtten. Ueberhaupt aber ſey der aͤchte hiſtoriſche Grund der Froh, nen vielmehr aus wechſelsweiſen wirklichen oder ſtilſchwei- genden Vertraͤgen der Guts- und Schutzherrn als aus einer urſpruͤnglichen Leibeigenſchaft abzuleiten, wie denn auch an Orten, wo die Leibeigenſchaft nie in Uebung ge- weſen, Frohnleiſtungen angetroffen wuͤrden. Allein da- gegen laͤßt ſich einwenden, daß hier von freyen Leuten, die gar keine Frohnen thun, nicht die Rede ſey, ſondern der Streit iſt von Bauern, die ſich zu frohnen nicht wei- gern, und fragt ſich nur, ob ſie gemeſſene oder ungemeſ- ſene 57) Man beruft ſich deshalb auf das Saͤchſiſche Landrecht
III. Buch Art. 32. wo es heißt: „welch einkommen Mann (advena) ſich frey nennet, den ſoll man fuͤr frey halten, man mag ihn denn das mit Gezeugen vorlegen; (donec per teſti- monium hoc reprobetur) wer ſich aber frey nennet, und daß ein Andrer ſpricht, er ſey ſein eigen, alſo daß er ſich ihm er- geben hab, das mag jener mit ſeinem Eide wohl unſchuldig werden, es ſey dann fuͤr Gericht geſchehen.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0172" n="158"/><fw place="top" type="header">1. Buch. 5. Tit. §. 124.</fw><lb/> Vermuthung, nicht fuͤr die Dienſtbarkeit <note place="foot" n="57)">Man beruft ſich deshalb auf das <hi rendition="#g">Saͤchſiſche Landrecht</hi><lb/><hi rendition="#aq">III.</hi> <hi rendition="#g">Buch Art</hi>. 32. wo es heißt: „welch einkommen Mann<lb/><hi rendition="#aq">(advena)</hi> ſich frey nennet, den ſoll man fuͤr frey halten, man<lb/> mag ihn denn das mit Gezeugen vorlegen; <hi rendition="#aq">(donec per teſti-<lb/> monium hoc reprobetur)</hi> wer ſich aber frey nennet, und daß<lb/> ein Andrer ſpricht, er ſey ſein eigen, alſo daß er ſich ihm er-<lb/> geben hab, das mag jener mit ſeinem Eide wohl unſchuldig<lb/> werden, es ſey dann fuͤr Gericht geſchehen.“</note>. Nun aber<lb/> ſind Bauern freye Leute. Frohnen ſchraͤnken die Frey-<lb/> heit ein; Einſchraͤnkungen derſelben aber koͤnnen nicht<lb/> vermuthet, ſondern muͤſſen von dem, der einen Nutzen<lb/> hieraus zu ziehen glaubt, bewieſen werden. Zudem waͤ-<lb/> ren die Bauern ihren Urſprung nach keinesweges Leibei-<lb/> gene, ſondern meiſt freye, ja freygebohrne geweſen. Denn<lb/> ſollte der Zuſtand der heutigen Bauern aus einer geſche-<lb/> henen Freylaſſung herruͤhren, ſo muͤßte dieſelbe erſt er-<lb/> wieſen werden, welchen Beweiß man aber noch bis jetzt<lb/> vermiſſe. Geſetzt aber auch, daß durch Freylaſſung die<lb/> heutigen Bauern ihre Freyheit erlangt haͤtten, ſo wuͤrde<lb/> dennoch daraus nicht folgen, daß ſie ungemeſſene Dienſte<lb/> zu thun ſchuldig waͤren, weil nicht einmal alle Leibeigene<lb/> ohne Unterſchied ungemeſſene Dienſte geleiſtet haͤtten.<lb/> Ueberhaupt aber ſey der aͤchte hiſtoriſche Grund der Froh,<lb/> nen vielmehr aus wechſelsweiſen wirklichen oder ſtilſchwei-<lb/> genden Vertraͤgen der Guts- und Schutzherrn als aus<lb/> einer urſpruͤnglichen Leibeigenſchaft abzuleiten, wie denn<lb/> auch an Orten, wo die Leibeigenſchaft nie in Uebung ge-<lb/> weſen, Frohnleiſtungen angetroffen wuͤrden. Allein da-<lb/> gegen laͤßt ſich einwenden, daß hier von freyen Leuten,<lb/> die gar keine Frohnen thun, nicht die Rede ſey, ſondern<lb/> der Streit iſt von Bauern, die ſich zu frohnen nicht wei-<lb/> gern, und fragt ſich nur, ob ſie gemeſſene oder ungemeſ-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſene</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [158/0172]
1. Buch. 5. Tit. §. 124.
Vermuthung, nicht fuͤr die Dienſtbarkeit 57). Nun aber
ſind Bauern freye Leute. Frohnen ſchraͤnken die Frey-
heit ein; Einſchraͤnkungen derſelben aber koͤnnen nicht
vermuthet, ſondern muͤſſen von dem, der einen Nutzen
hieraus zu ziehen glaubt, bewieſen werden. Zudem waͤ-
ren die Bauern ihren Urſprung nach keinesweges Leibei-
gene, ſondern meiſt freye, ja freygebohrne geweſen. Denn
ſollte der Zuſtand der heutigen Bauern aus einer geſche-
henen Freylaſſung herruͤhren, ſo muͤßte dieſelbe erſt er-
wieſen werden, welchen Beweiß man aber noch bis jetzt
vermiſſe. Geſetzt aber auch, daß durch Freylaſſung die
heutigen Bauern ihre Freyheit erlangt haͤtten, ſo wuͤrde
dennoch daraus nicht folgen, daß ſie ungemeſſene Dienſte
zu thun ſchuldig waͤren, weil nicht einmal alle Leibeigene
ohne Unterſchied ungemeſſene Dienſte geleiſtet haͤtten.
Ueberhaupt aber ſey der aͤchte hiſtoriſche Grund der Froh,
nen vielmehr aus wechſelsweiſen wirklichen oder ſtilſchwei-
genden Vertraͤgen der Guts- und Schutzherrn als aus
einer urſpruͤnglichen Leibeigenſchaft abzuleiten, wie denn
auch an Orten, wo die Leibeigenſchaft nie in Uebung ge-
weſen, Frohnleiſtungen angetroffen wuͤrden. Allein da-
gegen laͤßt ſich einwenden, daß hier von freyen Leuten,
die gar keine Frohnen thun, nicht die Rede ſey, ſondern
der Streit iſt von Bauern, die ſich zu frohnen nicht wei-
gern, und fragt ſich nur, ob ſie gemeſſene oder ungemeſ-
ſene
57) Man beruft ſich deshalb auf das Saͤchſiſche Landrecht
III. Buch Art. 32. wo es heißt: „welch einkommen Mann
(advena) ſich frey nennet, den ſoll man fuͤr frey halten, man
mag ihn denn das mit Gezeugen vorlegen; (donec per teſti-
monium hoc reprobetur) wer ſich aber frey nennet, und daß
ein Andrer ſpricht, er ſey ſein eigen, alſo daß er ſich ihm er-
geben hab, das mag jener mit ſeinem Eide wohl unſchuldig
werden, es ſey dann fuͤr Gericht geſchehen.“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |