Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Buch. 8. Tit. §. 181.
für ungültig erklären könnten 39). Denn vor Gericht kommt
es ja nicht auf den Besitz an sich, sondern auf die recht-
lichen Wirkungen an, welche die Gesetze demselben bey-
legen. Zweytens kann aber auch nicht geläugnet werden,
daß in vielen Fällen die bürgerlichen Gesetze der Natur
des Besitzes, sofern derselbe in facto bestehet, nichts
entzogen, und sich aller Fiction enthalten haben. Ge-
rade von solchen Fällen handeln die angeführten Rechts-
gelehrten Tryphonin und Paulus. Denen ich noch den
Papinian beyfüge, welcher lib. 3. Quaestionum schreibt40):
Possessio plurimum facti habet: causa vero facti
non continetur postliminio.

Wir schreiten nun zur zweyten Frage, aus wel-
chen politischen Gründen die römischen Gesetz-
geber dem Besitze so vieles von der Natur der
Rechte beygemischt haben
? Bey der Entwickelung
dieser Frage soll zugleich an jedem Orte dasjenige ange-
führt werden, was der Besitz aus dem Rechte gleichsam
entlehnt hat. Cuper 41) giebt dreyerley Gründe an, und
leitet hieraus alle die rechtlichen Eigenschaften her, die
dem Besitz in dem römischen Rechte beygelegt werden.

I) Der erste Grund ist das gemeine Beste. Der
bürgerliche Gesetzgeber gründet zwar seine Gesetze auf die

ewige
39) Hier empfehle ich besonders zum nachlesen Barthol. chesii
Differentias Iuris Cap. LXII.
welches die Ueberschrift hat: Lex
interdum videtur fingere super factis. Inter-
dum super ipsis nec fingere posse asseritur.
Explicatur, quomodo id procedat, et reddi-
tur ratio differentiae
; in Iurisprud. Rom. et Attica
Tom. II. col.
814 sqq.
40) L. 19. D. Ex quib. caus. maiores.
41) In den angef. Observat. selectis de natura possessionis P. I.
Cap. VI. pag.
62 -- 76.

1. Buch. 8. Tit. §. 181.
fuͤr unguͤltig erklaͤren koͤnnten 39). Denn vor Gericht kommt
es ja nicht auf den Beſitz an ſich, ſondern auf die recht-
lichen Wirkungen an, welche die Geſetze demſelben bey-
legen. Zweytens kann aber auch nicht gelaͤugnet werden,
daß in vielen Faͤllen die buͤrgerlichen Geſetze der Natur
des Beſitzes, ſofern derſelbe in facto beſtehet, nichts
entzogen, und ſich aller Fiction enthalten haben. Ge-
rade von ſolchen Faͤllen handeln die angefuͤhrten Rechts-
gelehrten Tryphonin und Paulus. Denen ich noch den
Papinian beyfuͤge, welcher lib. 3. Quaeſtionum ſchreibt40):
Poſſeſſio plurimum facti habet: cauſa vero facti
non continetur postliminio.

Wir ſchreiten nun zur zweyten Frage, aus wel-
chen politiſchen Gruͤnden die roͤmiſchen Geſetz-
geber dem Beſitze ſo vieles von der Natur der
Rechte beygemiſcht haben
? Bey der Entwickelung
dieſer Frage ſoll zugleich an jedem Orte dasjenige ange-
fuͤhrt werden, was der Beſitz aus dem Rechte gleichſam
entlehnt hat. Cuper 41) giebt dreyerley Gruͤnde an, und
leitet hieraus alle die rechtlichen Eigenſchaften her, die
dem Beſitz in dem roͤmiſchen Rechte beygelegt werden.

I) Der erſte Grund iſt das gemeine Beſte. Der
buͤrgerliche Geſetzgeber gruͤndet zwar ſeine Geſetze auf die

ewige
39) Hier empfehle ich beſonders zum nachleſen Barthol. chesii
Differentias Iuris Cap. LXII.
welches die Ueberſchrift hat: Lex
interdum videtur fingere ſuper factis. Inter-
dum ſuper ipſis nec fingere poſſe aſſeritur.
Explicatur, quomodo id procedat, et reddi-
tur ratio differentiae
; in Iurisprud. Rom. et Attica
Tom. II. col.
814 ſqq.
40) L. 19. D. Ex quib. cauſ. maiores.
41) In den angef. Obſervat. ſelectis de natura poſſeſſionis P. I.
Cap. VI. pag.
62 — 76.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0550" n="536"/><fw place="top" type="header">1. Buch. 8. Tit. §. 181.</fw><lb/>
fu&#x0364;r ungu&#x0364;ltig erkla&#x0364;ren ko&#x0364;nnten <note place="foot" n="39)">Hier empfehle ich be&#x017F;onders zum nachle&#x017F;en <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Barthol.</hi><hi rendition="#k">chesii</hi><lb/>
Differentias Iuris Cap. LXII.</hi> welches die Ueber&#x017F;chrift hat: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Lex<lb/>
interdum videtur fingere &#x017F;uper factis. Inter-<lb/>
dum &#x017F;uper ip&#x017F;is nec fingere po&#x017F;&#x017F;e a&#x017F;&#x017F;eritur.<lb/>
Explicatur, quomodo id procedat, et reddi-<lb/>
tur ratio differentiae</hi>; in <hi rendition="#i">Iurisprud. Rom. et Attica<lb/>
Tom. II. col.</hi> 814 <hi rendition="#i">&#x017F;qq.</hi></hi></note>. Denn vor Gericht kommt<lb/>
es ja nicht auf den Be&#x017F;itz an &#x017F;ich, &#x017F;ondern auf die recht-<lb/>
lichen Wirkungen an, welche die Ge&#x017F;etze dem&#x017F;elben bey-<lb/>
legen. Zweytens kann aber auch nicht gela&#x0364;ugnet werden,<lb/>
daß in vielen Fa&#x0364;llen die bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;etze der Natur<lb/>
des Be&#x017F;itzes, &#x017F;ofern der&#x017F;elbe in <hi rendition="#aq">facto</hi> be&#x017F;tehet, nichts<lb/>
entzogen, und &#x017F;ich aller Fiction enthalten haben. Ge-<lb/>
rade von &#x017F;olchen Fa&#x0364;llen handeln die angefu&#x0364;hrten Rechts-<lb/>
gelehrten <hi rendition="#fr">Tryphonin</hi> und <hi rendition="#fr">Paulus.</hi> Denen ich noch den<lb/><hi rendition="#fr">Papinian</hi> beyfu&#x0364;ge, welcher <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">lib.</hi> 3. Quae&#x017F;tionum</hi> &#x017F;chreibt<note place="foot" n="40)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 19. <hi rendition="#i">D. Ex quib. cau&#x017F;. maiores.</hi></hi></note>:<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Po&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;io</hi><hi rendition="#k">plurimum facti</hi><hi rendition="#i">habet: cau&#x017F;a vero</hi><hi rendition="#k">facti</hi><lb/><hi rendition="#i">non continetur</hi><hi rendition="#k">postliminio.</hi></hi></p><lb/>
          <p>Wir &#x017F;chreiten nun zur zweyten <hi rendition="#fr">Frage,</hi> <hi rendition="#g">aus wel-<lb/>
chen politi&#x017F;chen Gru&#x0364;nden die ro&#x0364;mi&#x017F;chen Ge&#x017F;etz-<lb/>
geber dem Be&#x017F;itze &#x017F;o vieles von der Natur der<lb/>
Rechte beygemi&#x017F;cht haben</hi>? Bey der Entwickelung<lb/>
die&#x017F;er Frage &#x017F;oll zugleich an jedem Orte dasjenige ange-<lb/>
fu&#x0364;hrt werden, was der Be&#x017F;itz aus dem Rechte gleich&#x017F;am<lb/>
entlehnt hat. <hi rendition="#fr">Cuper</hi> <note place="foot" n="41)">In den angef. <hi rendition="#aq">Ob&#x017F;ervat. &#x017F;electis de natura po&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;ionis P. I.<lb/>
Cap. VI. pag.</hi> 62 &#x2014; 76.</note> giebt dreyerley Gru&#x0364;nde an, und<lb/>
leitet hieraus alle die rechtlichen Eigen&#x017F;chaften her, die<lb/>
dem Be&#x017F;itz in dem ro&#x0364;mi&#x017F;chen Rechte beygelegt werden.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">I</hi>) Der er&#x017F;te Grund i&#x017F;t das gemeine <hi rendition="#fr">Be&#x017F;te.</hi> Der<lb/>
bu&#x0364;rgerliche Ge&#x017F;etzgeber gru&#x0364;ndet zwar &#x017F;eine Ge&#x017F;etze auf die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ewige</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[536/0550] 1. Buch. 8. Tit. §. 181. fuͤr unguͤltig erklaͤren koͤnnten 39). Denn vor Gericht kommt es ja nicht auf den Beſitz an ſich, ſondern auf die recht- lichen Wirkungen an, welche die Geſetze demſelben bey- legen. Zweytens kann aber auch nicht gelaͤugnet werden, daß in vielen Faͤllen die buͤrgerlichen Geſetze der Natur des Beſitzes, ſofern derſelbe in facto beſtehet, nichts entzogen, und ſich aller Fiction enthalten haben. Ge- rade von ſolchen Faͤllen handeln die angefuͤhrten Rechts- gelehrten Tryphonin und Paulus. Denen ich noch den Papinian beyfuͤge, welcher lib. 3. Quaeſtionum ſchreibt 40): Poſſeſſio plurimum facti habet: cauſa vero facti non continetur postliminio. Wir ſchreiten nun zur zweyten Frage, aus wel- chen politiſchen Gruͤnden die roͤmiſchen Geſetz- geber dem Beſitze ſo vieles von der Natur der Rechte beygemiſcht haben? Bey der Entwickelung dieſer Frage ſoll zugleich an jedem Orte dasjenige ange- fuͤhrt werden, was der Beſitz aus dem Rechte gleichſam entlehnt hat. Cuper 41) giebt dreyerley Gruͤnde an, und leitet hieraus alle die rechtlichen Eigenſchaften her, die dem Beſitz in dem roͤmiſchen Rechte beygelegt werden. I) Der erſte Grund iſt das gemeine Beſte. Der buͤrgerliche Geſetzgeber gruͤndet zwar ſeine Geſetze auf die ewige 39) Hier empfehle ich beſonders zum nachleſen Barthol. chesii Differentias Iuris Cap. LXII. welches die Ueberſchrift hat: Lex interdum videtur fingere ſuper factis. Inter- dum ſuper ipſis nec fingere poſſe aſſeritur. Explicatur, quomodo id procedat, et reddi- tur ratio differentiae; in Iurisprud. Rom. et Attica Tom. II. col. 814 ſqq. 40) L. 19. D. Ex quib. cauſ. maiores. 41) In den angef. Obſervat. ſelectis de natura poſſeſſionis P. I. Cap. VI. pag. 62 — 76.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/550
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/550>, abgerufen am 20.05.2024.