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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791.

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De divisione rerum et qualitate.
ewige und unveränderliche Natur der Dinge, aber er
nimmt auch zugleich Rücksicht auf das besondere Wohl
seines Staats, und dessen Bürger. In dieser Absicht
fingirt er zuweilen das Daseyn einer nicht existirenden Sa-
che, oder auch die Nichtexistenz einer wirklich vorhan-
denen Sache. Dabey sieht er nicht sowohl auf Wahr-
heit, als auf gemeine Wohlfahrt. Diese Maxime ha-
ben nun die röm. Gesetzgeber, so wie in vielen Rechts-
materien, also auch insonderheit in der Lehre von Besitz
befolgt, indem sie dem Besitze manche rechtliche Eigen-
schaften blos um des gemeinen Besten willen
beygelegt haben, welche der eigentlichen Beschaffenheit
des Besitzes nicht angemessen sind. Wir wollen nur fol-
gende hier anführen. Dahin gehört,

1) daß eine Gemeinheit durch einen öffentlichen
Knecht oder Gevollmächtigten einen Besitz haben und er-
langen könne 42).

2) daß ein Kind, welches übrigens zur ersten Er-
werbung des Besitzes keine Gemüthsfähigkeit hat, den-
noch gültig besitzen könne, wenn der Vormund für das-
selbe den Besitz ergriffen hat 43).

3) Daß ein Besitzer, wenn er hernach den Ver-
stand verliert, dennoch dadurch den bisher gehabten Be-
sitz nicht verliere, sondern denselben fortsetze 44).


4) Daß
42) L. 1. §. 22. et L. 2. D de acquir. possess Add. ulpianus
Fragm. Tit. XXII. §. 5. et ad Eundem Ant. schulting in
Iurisprud. Antejust. pag. 634. not.
9.
43) L. 32. §. 2. D. de Acquir. vel Amit. Possess. Da heißt es
ausdrücklich: utilitatis enim causa hoc receptum est.
44) L. 4. §. 3. et L. 44. §. 6. D. de Usurpat. et. Usucap.
Auch in dieser Stelle wird angemerkt: utilitate suaden-
te
Glücks Erläut. d. Pand. 2. Th. M m

De diviſione rerum et qualitate.
ewige und unveraͤnderliche Natur der Dinge, aber er
nimmt auch zugleich Ruͤckſicht auf das beſondere Wohl
ſeines Staats, und deſſen Buͤrger. In dieſer Abſicht
fingirt er zuweilen das Daſeyn einer nicht exiſtirenden Sa-
che, oder auch die Nichtexiſtenz einer wirklich vorhan-
denen Sache. Dabey ſieht er nicht ſowohl auf Wahr-
heit, als auf gemeine Wohlfahrt. Dieſe Maxime ha-
ben nun die roͤm. Geſetzgeber, ſo wie in vielen Rechts-
materien, alſo auch inſonderheit in der Lehre von Beſitz
befolgt, indem ſie dem Beſitze manche rechtliche Eigen-
ſchaften blos um des gemeinen Beſten willen
beygelegt haben, welche der eigentlichen Beſchaffenheit
des Beſitzes nicht angemeſſen ſind. Wir wollen nur fol-
gende hier anfuͤhren. Dahin gehoͤrt,

1) daß eine Gemeinheit durch einen oͤffentlichen
Knecht oder Gevollmaͤchtigten einen Beſitz haben und er-
langen koͤnne 42).

2) daß ein Kind, welches uͤbrigens zur erſten Er-
werbung des Beſitzes keine Gemuͤthsfaͤhigkeit hat, den-
noch guͤltig beſitzen koͤnne, wenn der Vormund fuͤr daſ-
ſelbe den Beſitz ergriffen hat 43).

3) Daß ein Beſitzer, wenn er hernach den Ver-
ſtand verliert, dennoch dadurch den bisher gehabten Be-
ſitz nicht verliere, ſondern denſelben fortſetze 44).


4) Daß
42) L. 1. §. 22. et L. 2. D de acquir. poſſeſſ Add. ulpianus
Fragm. Tit. XXII. §. 5. et ad Eundem Ant. schulting in
Iurisprud. Antejuſt. pag. 634. not.
9.
43) L. 32. §. 2. D. de Acquir. vel Amit. Poſſeſſ. Da heißt es
ausdruͤcklich: utilitatis enim causa hoc receptum eſt.
44) L. 4. §. 3. et L. 44. §. 6. D. de Uſurpat. et. Uſucap.
Auch in dieſer Stelle wird angemerkt: utilitate suaden-
te
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 2. Th. M m
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[537/0551] De diviſione rerum et qualitate. ewige und unveraͤnderliche Natur der Dinge, aber er nimmt auch zugleich Ruͤckſicht auf das beſondere Wohl ſeines Staats, und deſſen Buͤrger. In dieſer Abſicht fingirt er zuweilen das Daſeyn einer nicht exiſtirenden Sa- che, oder auch die Nichtexiſtenz einer wirklich vorhan- denen Sache. Dabey ſieht er nicht ſowohl auf Wahr- heit, als auf gemeine Wohlfahrt. Dieſe Maxime ha- ben nun die roͤm. Geſetzgeber, ſo wie in vielen Rechts- materien, alſo auch inſonderheit in der Lehre von Beſitz befolgt, indem ſie dem Beſitze manche rechtliche Eigen- ſchaften blos um des gemeinen Beſten willen beygelegt haben, welche der eigentlichen Beſchaffenheit des Beſitzes nicht angemeſſen ſind. Wir wollen nur fol- gende hier anfuͤhren. Dahin gehoͤrt, 1) daß eine Gemeinheit durch einen oͤffentlichen Knecht oder Gevollmaͤchtigten einen Beſitz haben und er- langen koͤnne 42). 2) daß ein Kind, welches uͤbrigens zur erſten Er- werbung des Beſitzes keine Gemuͤthsfaͤhigkeit hat, den- noch guͤltig beſitzen koͤnne, wenn der Vormund fuͤr daſ- ſelbe den Beſitz ergriffen hat 43). 3) Daß ein Beſitzer, wenn er hernach den Ver- ſtand verliert, dennoch dadurch den bisher gehabten Be- ſitz nicht verliere, ſondern denſelben fortſetze 44). 4) Daß 42) L. 1. §. 22. et L. 2. D de acquir. poſſeſſ Add. ulpianus Fragm. Tit. XXII. §. 5. et ad Eundem Ant. schulting in Iurisprud. Antejuſt. pag. 634. not. 9. 43) L. 32. §. 2. D. de Acquir. vel Amit. Poſſeſſ. Da heißt es ausdruͤcklich: utilitatis enim causa hoc receptum eſt. 44) L. 4. §. 3. et L. 44. §. 6. D. de Uſurpat. et. Uſucap. Auch in dieſer Stelle wird angemerkt: utilitate suaden- te Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 2. Th. M m

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/551>, abgerufen am 10.05.2024.