Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.denn? riefen der Caduchon und Francois wie aus Einem Munde. Da brach sie mit einem Aufschluchzen in sich zusammen; der alte Mann nahm sie in seine Arme, und eine Weile hörte man nichts, als ihr Weinen und die schweren Athemzüge des Francois. Endlich erhob sie den Kopf und trocknete die Augen. Freilich glaub' ich's, sagte sie dann. Von Wollen oder Nichtwollen kann dabei nicht die Rede sein. Darum hat die Müllerin nie mit mir sein können, wie andere Mütter mit ihren Kindern sind -- der Stiefvater war immer herzlicher mit mir, als sie -- darum hat sie mich, als die Brüder geboren wurden, noch weniger leiden können, als früher; darum hat sie jetzt so darauf bestanden, daß ich aus dem Hause müsse, Bruder Jacques zu Liebe . . . O, heilige Mutter Gottes! er ist ja nicht mein Bruder . . . ich habe ja keine verwandte Seele mehr . . . Nichts als einen alten, schäbigen Oheim, Kind: mit dem dir wenig gedient sein wird! fiel der Caduchon ein, indem er sich zum Lachen zu zwingen suchte; aber es zuckte dabei verrätherisch um seine Mundwinkel, und als ihm die Claudine mit einem halberstickten Verzeiht mir, Oheim! um den Hals fiel, hielt er sich nicht länger und lachte und weinte wie ein Kind. Und ich, Claudine . . . hast du mich vergessen! willst du an mir nicht gut machen, was ich Jahre und Jahre lang um dich ausgestanden habe? sagte der Francois. denn? riefen der Caduchon und François wie aus Einem Munde. Da brach sie mit einem Aufschluchzen in sich zusammen; der alte Mann nahm sie in seine Arme, und eine Weile hörte man nichts, als ihr Weinen und die schweren Athemzüge des François. Endlich erhob sie den Kopf und trocknete die Augen. Freilich glaub' ich's, sagte sie dann. Von Wollen oder Nichtwollen kann dabei nicht die Rede sein. Darum hat die Müllerin nie mit mir sein können, wie andere Mütter mit ihren Kindern sind — der Stiefvater war immer herzlicher mit mir, als sie — darum hat sie mich, als die Brüder geboren wurden, noch weniger leiden können, als früher; darum hat sie jetzt so darauf bestanden, daß ich aus dem Hause müsse, Bruder Jacques zu Liebe . . . O, heilige Mutter Gottes! er ist ja nicht mein Bruder . . . ich habe ja keine verwandte Seele mehr . . . Nichts als einen alten, schäbigen Oheim, Kind: mit dem dir wenig gedient sein wird! fiel der Caduchon ein, indem er sich zum Lachen zu zwingen suchte; aber es zuckte dabei verrätherisch um seine Mundwinkel, und als ihm die Claudine mit einem halberstickten Verzeiht mir, Oheim! um den Hals fiel, hielt er sich nicht länger und lachte und weinte wie ein Kind. Und ich, Claudine . . . hast du mich vergessen! willst du an mir nicht gut machen, was ich Jahre und Jahre lang um dich ausgestanden habe? sagte der François. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0071"/> denn? riefen der Caduchon und François wie aus Einem Munde.</p><lb/> <p>Da brach sie mit einem Aufschluchzen in sich zusammen; der alte Mann nahm sie in seine Arme, und eine Weile hörte man nichts, als ihr Weinen und die schweren Athemzüge des François. Endlich erhob sie den Kopf und trocknete die Augen.</p><lb/> <p>Freilich glaub' ich's, sagte sie dann. Von Wollen oder Nichtwollen kann dabei nicht die Rede sein. Darum hat die Müllerin nie mit mir sein können, wie andere Mütter mit ihren Kindern sind — der Stiefvater war immer herzlicher mit mir, als sie — darum hat sie mich, als die Brüder geboren wurden, noch weniger leiden können, als früher; darum hat sie jetzt so darauf bestanden, daß ich aus dem Hause müsse, Bruder Jacques zu Liebe . . . O, heilige Mutter Gottes! er ist ja nicht mein Bruder . . . ich habe ja keine verwandte Seele mehr . . .</p><lb/> <p>Nichts als einen alten, schäbigen Oheim, Kind: mit dem dir wenig gedient sein wird! fiel der Caduchon ein, indem er sich zum Lachen zu zwingen suchte; aber es zuckte dabei verrätherisch um seine Mundwinkel, und als ihm die Claudine mit einem halberstickten Verzeiht mir, Oheim! um den Hals fiel, hielt er sich nicht länger und lachte und weinte wie ein Kind.</p><lb/> <p>Und ich, Claudine . . . hast du mich vergessen! willst du an mir nicht gut machen, was ich Jahre und Jahre lang um dich ausgestanden habe? sagte der François.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0071]
denn? riefen der Caduchon und François wie aus Einem Munde.
Da brach sie mit einem Aufschluchzen in sich zusammen; der alte Mann nahm sie in seine Arme, und eine Weile hörte man nichts, als ihr Weinen und die schweren Athemzüge des François. Endlich erhob sie den Kopf und trocknete die Augen.
Freilich glaub' ich's, sagte sie dann. Von Wollen oder Nichtwollen kann dabei nicht die Rede sein. Darum hat die Müllerin nie mit mir sein können, wie andere Mütter mit ihren Kindern sind — der Stiefvater war immer herzlicher mit mir, als sie — darum hat sie mich, als die Brüder geboren wurden, noch weniger leiden können, als früher; darum hat sie jetzt so darauf bestanden, daß ich aus dem Hause müsse, Bruder Jacques zu Liebe . . . O, heilige Mutter Gottes! er ist ja nicht mein Bruder . . . ich habe ja keine verwandte Seele mehr . . .
Nichts als einen alten, schäbigen Oheim, Kind: mit dem dir wenig gedient sein wird! fiel der Caduchon ein, indem er sich zum Lachen zu zwingen suchte; aber es zuckte dabei verrätherisch um seine Mundwinkel, und als ihm die Claudine mit einem halberstickten Verzeiht mir, Oheim! um den Hals fiel, hielt er sich nicht länger und lachte und weinte wie ein Kind.
Und ich, Claudine . . . hast du mich vergessen! willst du an mir nicht gut machen, was ich Jahre und Jahre lang um dich ausgestanden habe? sagte der François.
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Zitationshilfe: | Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/71>, abgerufen am 16.02.2025. |