tertypen das blos Vorübergehende überdauern, und nicht allein durch sich, sondern auch noch durch die reiche Erbe alter im Gedächtnisse des Volkes immer gegenwärtiger Ehre gelten, und darum seine Achtung zugleich mit seiner Neigung und Dankbarkeit an sich fesseln, die es Beydes dem jetzigen dürren, hohlen, nichtigen Wesen zuzuwenden nicht in Versuchung kömmt. Dann wird auch die Zeit wieder kommen, wo alle teutschen Stämme nach der Erkenntniß, die ihnen schon jetzt beywohnt, auch handeln werden, begreifend daß ihre Vielheit zwar ein kostbares Gut sey, das sie beynahe vor allen jetzigen Völkern sich erhalten; daß dieser Segen aber zu einem Fluche werden müsse, wenn ihr keine bindende Einheit gegeben wird; und diese wird, wenn manche Eidgenossenschaft sich als nicht hinreichend im Drange der Zeit für die gemeine Freyheit und Sicher¬ heit erwiesen, wohl auch einmal wieder von einem starken Geschlechte gehandhabt werden, das die Krone Carls des Großen unter ihrer Last nicht niederdrückt, dem sein Mantel gerecht, und das sein Schwerd zu schwingen im Stande ist.
Unterdessen wird denn auch der religiöse Sinn wie¬ der sich seiner jetzigen Beschlossenheit entwinden, und man wird wieder allgemein erkennen, daß Religion nicht das Mährchen ist, das die Amme Goldmund den kindisch horchenden Völkern vorerzählt; sondern das Band, das die Geister eint, das Wort des bil¬ denden Weltgeistes in der Menschensprache ausgespro¬ chen; daß selbst die Natur bewußtlos ihre Mysterien feyert; daß der Staat nur das Erdgeschoß der Kirche ist, und das öffentliche Leben und die Pflege der Wis¬ senschaften selbst ein Gottesdienst. In der katholischen Geistlichkeit wird aus der sittlichen Reinheit, die sie durchgängig in Teutschland noch immerfort bezeichnet, wieder leicht jener höhere Sinn erblühen, und in ihm sich jene Begeistrung entzünden, die die jetzige Erstar¬ rung löst, und den Formen den vergeßnen Inhalt wieder giebt. Sie wird erkennen, daß nicht ein dum¬ pfer, schwerer Obscurantism zu diesem Ziele führt, der in unverständigem Eifer Gottes edelste Gabe das Licht
tertypen das blos Vorübergehende überdauern, und nicht allein durch ſich, ſondern auch noch durch die reiche Erbe alter im Gedächtniſſe des Volkes immer gegenwärtiger Ehre gelten, und darum ſeine Achtung zugleich mit ſeiner Neigung und Dankbarkeit an ſich feſſeln, die es Beydes dem jetzigen dürren, hohlen, nichtigen Weſen zuzuwenden nicht in Verſuchung kömmt. Dann wird auch die Zeit wieder kommen, wo alle teutſchen Stämme nach der Erkenntniß, die ihnen ſchon jetzt beywohnt, auch handeln werden, begreifend daß ihre Vielheit zwar ein koſtbares Gut ſey, das ſie beynahe vor allen jetzigen Völkern ſich erhalten; daß dieſer Segen aber zu einem Fluche werden müſſe, wenn ihr keine bindende Einheit gegeben wird; und dieſe wird, wenn manche Eidgenoſſenſchaft ſich als nicht hinreichend im Drange der Zeit für die gemeine Freyheit und Sicher¬ heit erwieſen, wohl auch einmal wieder von einem ſtarken Geſchlechte gehandhabt werden, das die Krone Carls des Großen unter ihrer Laſt nicht niederdrückt, dem ſein Mantel gerecht, und das ſein Schwerd zu ſchwingen im Stande iſt.
Unterdeſſen wird denn auch der religiöſe Sinn wie¬ der ſich ſeiner jetzigen Beſchloſſenheit entwinden, und man wird wieder allgemein erkennen, daß Religion nicht das Mährchen iſt, das die Amme Goldmund den kindiſch horchenden Völkern vorerzählt; ſondern das Band, das die Geiſter eint, das Wort des bil¬ denden Weltgeiſtes in der Menſchenſprache ausgeſpro¬ chen; daß ſelbſt die Natur bewußtlos ihre Myſterien feyert; daß der Staat nur das Erdgeſchoß der Kirche iſt, und das öffentliche Leben und die Pflege der Wiſ¬ ſenſchaften ſelbſt ein Gottesdienſt. In der katholiſchen Geiſtlichkeit wird aus der ſittlichen Reinheit, die ſie durchgängig in Teutſchland noch immerfort bezeichnet, wieder leicht jener höhere Sinn erblühen, und in ihm ſich jene Begeiſtrung entzünden, die die jetzige Erſtar¬ rung löſt, und den Formen den vergeßnen Inhalt wieder giebt. Sie wird erkennen, daß nicht ein dum¬ pfer, ſchwerer Obſcurantism zu dieſem Ziele führt, der in unverſtändigem Eifer Gottes edelſte Gabe das Licht
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0209"n="201"/>
tertypen das blos Vorübergehende überdauern, und<lb/>
nicht allein durch ſich, ſondern auch noch durch die<lb/>
reiche Erbe alter im Gedächtniſſe des Volkes immer<lb/>
gegenwärtiger Ehre gelten, und darum ſeine Achtung<lb/>
zugleich mit ſeiner Neigung und Dankbarkeit an ſich<lb/>
feſſeln, die es Beydes dem jetzigen dürren, hohlen,<lb/>
nichtigen Weſen zuzuwenden nicht in Verſuchung kömmt.<lb/>
Dann wird auch die Zeit wieder kommen, wo alle teutſchen<lb/>
Stämme nach der Erkenntniß, die ihnen ſchon jetzt<lb/>
beywohnt, auch handeln werden, begreifend daß ihre<lb/>
Vielheit zwar ein koſtbares Gut ſey, das ſie beynahe vor<lb/>
allen jetzigen Völkern ſich erhalten; daß dieſer Segen<lb/>
aber zu einem Fluche werden müſſe, wenn ihr keine<lb/>
bindende Einheit gegeben wird; und dieſe wird, wenn<lb/>
manche Eidgenoſſenſchaft ſich als nicht hinreichend im<lb/>
Drange der Zeit für die gemeine Freyheit und Sicher¬<lb/>
heit erwieſen, wohl auch einmal wieder von einem<lb/>ſtarken Geſchlechte gehandhabt werden, das die Krone<lb/>
Carls des Großen unter ihrer Laſt nicht niederdrückt,<lb/>
dem ſein Mantel gerecht, und das ſein Schwerd zu<lb/>ſchwingen im Stande iſt.</p><lb/><p>Unterdeſſen wird denn auch der religiöſe Sinn wie¬<lb/>
der ſich ſeiner jetzigen Beſchloſſenheit entwinden, und<lb/>
man wird wieder allgemein erkennen, daß Religion<lb/>
nicht das Mährchen iſt, das die Amme Goldmund<lb/>
den kindiſch horchenden Völkern vorerzählt; ſondern<lb/>
das Band, das die Geiſter eint, das Wort des bil¬<lb/>
denden Weltgeiſtes in der Menſchenſprache ausgeſpro¬<lb/>
chen; daß ſelbſt die Natur bewußtlos ihre Myſterien<lb/>
feyert; daß der Staat nur das Erdgeſchoß der Kirche<lb/>
iſt, und das öffentliche Leben und die Pflege der Wiſ¬<lb/>ſenſchaften ſelbſt ein Gottesdienſt. In der katholiſchen<lb/>
Geiſtlichkeit wird aus der ſittlichen Reinheit, die ſie<lb/>
durchgängig in Teutſchland noch immerfort bezeichnet,<lb/>
wieder leicht jener höhere Sinn erblühen, und in ihm<lb/>ſich jene Begeiſtrung entzünden, die die jetzige Erſtar¬<lb/>
rung löſt, und den Formen den vergeßnen Inhalt<lb/>
wieder giebt. Sie wird erkennen, daß nicht ein dum¬<lb/>
pfer, ſchwerer Obſcurantism zu dieſem Ziele führt, der<lb/>
in unverſtändigem Eifer Gottes edelſte Gabe das Licht<lb/></p></body></text></TEI>
[201/0209]
tertypen das blos Vorübergehende überdauern, und
nicht allein durch ſich, ſondern auch noch durch die
reiche Erbe alter im Gedächtniſſe des Volkes immer
gegenwärtiger Ehre gelten, und darum ſeine Achtung
zugleich mit ſeiner Neigung und Dankbarkeit an ſich
feſſeln, die es Beydes dem jetzigen dürren, hohlen,
nichtigen Weſen zuzuwenden nicht in Verſuchung kömmt.
Dann wird auch die Zeit wieder kommen, wo alle teutſchen
Stämme nach der Erkenntniß, die ihnen ſchon jetzt
beywohnt, auch handeln werden, begreifend daß ihre
Vielheit zwar ein koſtbares Gut ſey, das ſie beynahe vor
allen jetzigen Völkern ſich erhalten; daß dieſer Segen
aber zu einem Fluche werden müſſe, wenn ihr keine
bindende Einheit gegeben wird; und dieſe wird, wenn
manche Eidgenoſſenſchaft ſich als nicht hinreichend im
Drange der Zeit für die gemeine Freyheit und Sicher¬
heit erwieſen, wohl auch einmal wieder von einem
ſtarken Geſchlechte gehandhabt werden, das die Krone
Carls des Großen unter ihrer Laſt nicht niederdrückt,
dem ſein Mantel gerecht, und das ſein Schwerd zu
ſchwingen im Stande iſt.
Unterdeſſen wird denn auch der religiöſe Sinn wie¬
der ſich ſeiner jetzigen Beſchloſſenheit entwinden, und
man wird wieder allgemein erkennen, daß Religion
nicht das Mährchen iſt, das die Amme Goldmund
den kindiſch horchenden Völkern vorerzählt; ſondern
das Band, das die Geiſter eint, das Wort des bil¬
denden Weltgeiſtes in der Menſchenſprache ausgeſpro¬
chen; daß ſelbſt die Natur bewußtlos ihre Myſterien
feyert; daß der Staat nur das Erdgeſchoß der Kirche
iſt, und das öffentliche Leben und die Pflege der Wiſ¬
ſenſchaften ſelbſt ein Gottesdienſt. In der katholiſchen
Geiſtlichkeit wird aus der ſittlichen Reinheit, die ſie
durchgängig in Teutſchland noch immerfort bezeichnet,
wieder leicht jener höhere Sinn erblühen, und in ihm
ſich jene Begeiſtrung entzünden, die die jetzige Erſtar¬
rung löſt, und den Formen den vergeßnen Inhalt
wieder giebt. Sie wird erkennen, daß nicht ein dum¬
pfer, ſchwerer Obſcurantism zu dieſem Ziele führt, der
in unverſtändigem Eifer Gottes edelſte Gabe das Licht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/209>, abgerufen am 23.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.