rechtlose Zustand, der wenn auch nicht so gewaltthä¬ tig, wie in jener verrufenen kaiserlosen Zeit, doch beynahe eben so unerträglich ist. Es klagen die Völ¬ ker auf ihre Rechte, die die Willkühr ihnen vorent¬ halten; sie haben ihre Urkunden vorgelegt und ihre Briefe; die Geschichte steht an ihrer Seite, daß sie Zeugniß gebe; alle göttlichen und menschlichen Ge¬ setze sprechen zu ihren Gunsten, die Ehre und die un¬ verbrüchliche Heiligkeit der Verträge und die Unver¬ letzlichkeit des Schwures; alle gütlichen Mittel sind versucht, alle rechtlichen Fristen abgelaufen. Sie aber sind von Gott auf den Richterstuhl gesetzt, er hat sie zu Ausspendern und Vertretern seiner ewigen Gerechtigkeit gemacht, wehe denen! die nicht thun, was ihr heiliges Amt gebietet, und das Recht ver¬ sagen, nach dem die Kläger rufen. Sagt ihnen, daß auf ihrem Haupt alle Verantwortlichkeit der Zukunft ruhe, daß vor jenem Richterstuhle nicht bloß die böse That, sondern auch Unterlassen des gebotnen Thuns gerichtet werde. Erinnert sie, wie oft schon Gott an Teutschland seit einem Menschenalter ihr Unterlassen durch furchtbares Unglück heimgesucht, und wie all ihr passives Wohlmeinen vor seinem Zorne nichts ge¬ golten. Sagt Ihnen, daß wenn Sie auf der Höhe Recht mit Unrecht, Gesetzlichkeit mit Tyranney, die Ge¬ rechtigkeit mit Gewalt vermengen und verwirren, die¬ selbe Verwirrung bald auch der Masse sich mittheilen wird, deren Stärke allein durch das Maaß der Mitte ge¬ bändigt ist; und daß, hat das empörte Rechtsgefühl, das nirgend Recht gefunden, endlich einmal wüthend zur Selbsthülfe sich entschlossen, der Streit bald ge¬ schlichtet ist. Auf dem Papiere hat keine Verschwö¬ rung sich vorgefunden; ja nachdem man vor ganz Eu¬ ropa auf Hochverrath geklagt, hat man offiziell läug¬ nen müssen, daß man je auf eine Conspiration inqui¬ rirt: aber nichts destoweniger glimmt das Feuer in den Herzen; von Zeit zu Zeit schlagen kleine Flam¬ men zuckend auf, damit sie ein Zeichen seyen des Brandes, der unterirdisch glüht, und der täglich wei¬ ter um sich frißt, und den Boden furchtbar unter¬
rechtloſe Zuſtand, der wenn auch nicht ſo gewaltthä¬ tig, wie in jener verrufenen kaiſerloſen Zeit, doch beynahe eben ſo unerträglich iſt. Es klagen die Völ¬ ker auf ihre Rechte, die die Willkühr ihnen vorent¬ halten; ſie haben ihre Urkunden vorgelegt und ihre Briefe; die Geſchichte ſteht an ihrer Seite, daß ſie Zeugniß gebe; alle göttlichen und menſchlichen Ge¬ ſetze ſprechen zu ihren Gunſten, die Ehre und die un¬ verbrüchliche Heiligkeit der Verträge und die Unver¬ letzlichkeit des Schwures; alle gütlichen Mittel ſind verſucht, alle rechtlichen Friſten abgelaufen. Sie aber ſind von Gott auf den Richterſtuhl geſetzt, er hat ſie zu Ausſpendern und Vertretern ſeiner ewigen Gerechtigkeit gemacht, wehe denen! die nicht thun, was ihr heiliges Amt gebietet, und das Recht ver¬ ſagen, nach dem die Kläger rufen. Sagt ihnen, daß auf ihrem Haupt alle Verantwortlichkeit der Zukunft ruhe, daß vor jenem Richterſtuhle nicht bloß die böſe That, ſondern auch Unterlaſſen des gebotnen Thuns gerichtet werde. Erinnert ſie, wie oft ſchon Gott an Teutſchland ſeit einem Menſchenalter ihr Unterlaſſen durch furchtbares Unglück heimgeſucht, und wie all ihr paſſives Wohlmeinen vor ſeinem Zorne nichts ge¬ golten. Sagt Ihnen, daß wenn Sie auf der Höhe Recht mit Unrecht, Geſetzlichkeit mit Tyranney, die Ge¬ rechtigkeit mit Gewalt vermengen und verwirren, die¬ ſelbe Verwirrung bald auch der Maſſe ſich mittheilen wird, deren Stärke allein durch das Maaß der Mitte ge¬ bändigt iſt; und daß, hat das empörte Rechtsgefühl, das nirgend Recht gefunden, endlich einmal wüthend zur Selbſthülfe ſich entſchloſſen, der Streit bald ge¬ ſchlichtet iſt. Auf dem Papiere hat keine Verſchwö¬ rung ſich vorgefunden; ja nachdem man vor ganz Eu¬ ropa auf Hochverrath geklagt, hat man offiziell läug¬ nen müſſen, daß man je auf eine Conſpiration inqui¬ rirt: aber nichts deſtoweniger glimmt das Feuer in den Herzen; von Zeit zu Zeit ſchlagen kleine Flam¬ men zuckend auf, damit ſie ein Zeichen ſeyen des Brandes, der unterirdiſch glüht, und der täglich wei¬ ter um ſich frißt, und den Boden furchtbar unter¬
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rechtloſe Zuſtand, der wenn auch nicht ſo gewaltthä¬
tig, wie in jener verrufenen kaiſerloſen Zeit, doch
beynahe eben ſo unerträglich iſt. Es klagen die Völ¬
ker auf ihre Rechte, die die Willkühr ihnen vorent¬
halten; ſie haben ihre Urkunden vorgelegt und ihre
Briefe; die Geſchichte ſteht an ihrer Seite, daß ſie
Zeugniß gebe; alle göttlichen und menſchlichen Ge¬
ſetze ſprechen zu ihren Gunſten, die Ehre und die un¬
verbrüchliche Heiligkeit der Verträge und die Unver¬
letzlichkeit des Schwures; alle gütlichen Mittel ſind
verſucht, alle rechtlichen Friſten abgelaufen. Sie
aber ſind von Gott auf den Richterſtuhl geſetzt, er
hat ſie zu Ausſpendern und Vertretern ſeiner ewigen
Gerechtigkeit gemacht, wehe denen! die nicht thun,
was ihr heiliges Amt gebietet, und das Recht ver¬
ſagen, nach dem die Kläger rufen. Sagt ihnen, daß
auf ihrem Haupt alle Verantwortlichkeit der Zukunft
ruhe, daß vor jenem Richterſtuhle nicht bloß die böſe
That, ſondern auch Unterlaſſen des gebotnen Thuns
gerichtet werde. Erinnert ſie, wie oft ſchon Gott an
Teutſchland ſeit einem Menſchenalter ihr Unterlaſſen
durch furchtbares Unglück heimgeſucht, und wie all
ihr paſſives Wohlmeinen vor ſeinem Zorne nichts ge¬
golten. Sagt Ihnen, daß wenn Sie auf der Höhe
Recht mit Unrecht, Geſetzlichkeit mit Tyranney, die Ge¬
rechtigkeit mit Gewalt vermengen und verwirren, die¬
ſelbe Verwirrung bald auch der Maſſe ſich mittheilen wird,
deren Stärke allein durch das Maaß der Mitte ge¬
bändigt iſt; und daß, hat das empörte Rechtsgefühl,
das nirgend Recht gefunden, endlich einmal wüthend
zur Selbſthülfe ſich entſchloſſen, der Streit bald ge¬
ſchlichtet iſt. Auf dem Papiere hat keine Verſchwö¬
rung ſich vorgefunden; ja nachdem man vor ganz Eu¬
ropa auf Hochverrath geklagt, hat man offiziell läug¬
nen müſſen, daß man je auf eine Conſpiration inqui¬
rirt: aber nichts deſtoweniger glimmt das Feuer in
den Herzen; von Zeit zu Zeit ſchlagen kleine Flam¬
men zuckend auf, damit ſie ein Zeichen ſeyen des
Brandes, der unterirdiſch glüht, und der täglich wei¬
ter um ſich frißt, und den Boden furchtbar unter¬
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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/218>, abgerufen am 23.02.2025.
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