profanen Character tragen; die Geschichte war zur Fabel geworden, aber die Fabel galt auch als Geschichte, und weilte daher durchaus im Kreise des Individuellen und Menschlichen. Anderst hingegen in der spätern Zeit. Gegen das Ende des eilften Jahrhunderts war im westlichen Europa die Geschichte reif geworden; die Religion, die tief und stark in dem Einzelnen wohnte, erhob sich auch im Ganzen, und gewann ein großes äußeres Weltverhältniß; es erwachte ein enthusiastisch religiöser Geist in allen Völkern, und er trat auch aus- senhin kämpfend dem Heydenthum entgegen. So be- gannen um dieselbe Periode die Kreuzzüge. Die Kämpf- enden wollten für ihren Enthusiasm eine Mythe ha- ben, die neue Zeit eine eigene Aera, die Aera einen Anfangspunkt, und der religiöse Heroism einen religiö- sen Helden, und sie fanden ihn in Carl dem Großen, der früher schon den Kampf bestanden hatte, und den die Kirche zu ihrem Schützer sich gewählt. Turpin hatte in seiner Historia de vita Caroli magni et Ro- landi, von der man allgemein glaubt, daß sie um 1095 geschrieben worden sey, durch die Poesie die Apotheose eingeleitet, und die Kirche bestätigte sie, indem sie den alten Vogt von Rom durch Pabst Hadrian um das Jahr 1166 unter die Heiligen aufnahm. Nun mußte die Dichtung, insofern auch in sie Carl als christlicher
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profanen Character tragen; die Geſchichte war zur Fabel geworden, aber die Fabel galt auch als Geſchichte, und weilte daher durchaus im Kreiſe des Individuellen und Menſchlichen. Anderſt hingegen in der ſpätern Zeit. Gegen das Ende des eilften Jahrhunderts war im weſtlichen Europa die Geſchichte reif geworden; die Religion, die tief und ſtark in dem Einzelnen wohnte, erhob ſich auch im Ganzen, und gewann ein großes äußeres Weltverhältniß; es erwachte ein enthuſiaſtiſch religiöſer Geiſt in allen Völkern, und er trat auch auſ- ſenhin kämpfend dem Heydenthum entgegen. So be- gannen um dieſelbe Periode die Kreuzzüge. Die Kämpf- enden wollten für ihren Enthuſiasm eine Mythe ha- ben, die neue Zeit eine eigene Aera, die Aera einen Anfangspunkt, und der religiöſe Heroism einen religiö- ſen Helden, und ſie fanden ihn in Carl dem Großen, der früher ſchon den Kampf beſtanden hatte, und den die Kirche zu ihrem Schützer ſich gewählt. Turpin hatte in ſeiner Historia de vita Caroli magni et Ro- landi, von der man allgemein glaubt, daß ſie um 1095 geſchrieben worden ſey, durch die Poeſie die Apotheoſe eingeleitet, und die Kirche beſtätigte ſie, indem ſie den alten Vogt von Rom durch Pabſt Hadrian um das Jahr 1166 unter die Heiligen aufnahm. Nun mußte die Dichtung, inſofern auch in ſie Carl als chriſtlicher
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profanen Character tragen; die Geſchichte war zur
Fabel geworden, aber die Fabel galt auch als Geſchichte,
und weilte daher durchaus im Kreiſe des Individuellen
und Menſchlichen. Anderſt hingegen in der ſpätern
Zeit. Gegen das Ende des eilften Jahrhunderts war
im weſtlichen Europa die Geſchichte reif geworden; die
Religion, die tief und ſtark in dem Einzelnen wohnte,
erhob ſich auch im Ganzen, und gewann ein großes
äußeres Weltverhältniß; es erwachte ein enthuſiaſtiſch
religiöſer Geiſt in allen Völkern, und er trat auch auſ-
ſenhin kämpfend dem Heydenthum entgegen. So be-
gannen um dieſelbe Periode die Kreuzzüge. Die Kämpf-
enden wollten für ihren Enthuſiasm eine Mythe ha-
ben, die neue Zeit eine eigene Aera, die Aera einen
Anfangspunkt, und der religiöſe Heroism einen religiö-
ſen Helden, und ſie fanden ihn in Carl dem Großen,
der früher ſchon den Kampf beſtanden hatte, und den
die Kirche zu ihrem Schützer ſich gewählt. Turpin hatte
in ſeiner Historia de vita Caroli magni et Ro-
landi, von der man allgemein glaubt, daß ſie um 1095
geſchrieben worden ſey, durch die Poeſie die Apotheoſe
eingeleitet, und die Kirche beſtätigte ſie, indem ſie den
alten Vogt von Rom durch Pabſt Hadrian um das
Jahr 1166 unter die Heiligen aufnahm. Nun mußte
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/139>, abgerufen am 24.11.2024.
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