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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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Königs befahl, die Königinn mit dem Kinde zu verbren-
nen; wie der Marschall dann an ihrer Stelle ein großes
und ein kleines Kalb verbrannte, und sie mit dem
Kinde in dasselbe Schifflein setzte, auf dem sie herge-
kommen war. Nach vielen ausgestandenen Mühselig-
keiten gelangt die Vertriebene endlich nach Rom;
nimmt dort bei einem römischen Bürger Dienste, dem
sie das Vieh und die übrigen Hausgeschäfte besorgt;
wobei nach einiger Zeit der Pabst ihren Sohn liebge-
winnt, ihn zu sich nimmt und ihm Land und Leute
schenkt, und endlich als die Könige von Engelland und
Frankreich, Beide ihrer Sünden wegen, -- jener weil
er seine Mutter verbrannt hatte, dieser weil er seiner
Tochter Gewalt anthun wollen, -- nach Rom gekom-
men waren, um Absolution bei ihm zu gewinnen,
geschieht die Wiedererkennung, und die Könige führen
in Freuden die Wiedergefundene nach Hause. Das
Gedicht, wohl 15000 gereimte Verse stark, tfi mit vieler
Geläufigkeit und Freiheit in der Form gedichtet, und
mit aller der Naivität und Einfalt dargestellt, die alle
Werke jener frühern Zeit bezeichnen. Die Handlung,
die durch das Ganze geht, ist ohne große Verwicklungen
angelegt, so daß sie gegen das Ende sogar ganz in das
Historische der Chronik sich verliert. Der Character des
Königs von Engelland ist recht brav gehalten, treu,

Königs befahl, die Königinn mit dem Kinde zu verbren-
nen; wie der Marſchall dann an ihrer Stelle ein großes
und ein kleines Kalb verbrannte, und ſie mit dem
Kinde in daſſelbe Schifflein ſetzte, auf dem ſie herge-
kommen war. Nach vielen ausgeſtandenen Mühſelig-
keiten gelangt die Vertriebene endlich nach Rom;
nimmt dort bei einem römiſchen Bürger Dienſte, dem
ſie das Vieh und die übrigen Hausgeſchäfte beſorgt;
wobei nach einiger Zeit der Pabſt ihren Sohn liebge-
winnt, ihn zu ſich nimmt und ihm Land und Leute
ſchenkt, und endlich als die Könige von Engelland und
Frankreich, Beide ihrer Sünden wegen, — jener weil
er ſeine Mutter verbrannt hatte, dieſer weil er ſeiner
Tochter Gewalt anthun wollen, — nach Rom gekom-
men waren, um Abſolution bei ihm zu gewinnen,
geſchieht die Wiedererkennung, und die Könige führen
in Freuden die Wiedergefundene nach Hauſe. Das
Gedicht, wohl 15000 gereimte Verſe ſtark, tfi mit vieler
Geläufigkeit und Freiheit in der Form gedichtet, und
mit aller der Naivität und Einfalt dargeſtellt, die alle
Werke jener frühern Zeit bezeichnen. Die Handlung,
die durch das Ganze geht, iſt ohne große Verwicklungen
angelegt, ſo daß ſie gegen das Ende ſogar ganz in das
Hiſtoriſche der Chronik ſich verliert. Der Character des
Königs von Engelland iſt recht brav gehalten, treu,

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[138/0156] Königs befahl, die Königinn mit dem Kinde zu verbren- nen; wie der Marſchall dann an ihrer Stelle ein großes und ein kleines Kalb verbrannte, und ſie mit dem Kinde in daſſelbe Schifflein ſetzte, auf dem ſie herge- kommen war. Nach vielen ausgeſtandenen Mühſelig- keiten gelangt die Vertriebene endlich nach Rom; nimmt dort bei einem römiſchen Bürger Dienſte, dem ſie das Vieh und die übrigen Hausgeſchäfte beſorgt; wobei nach einiger Zeit der Pabſt ihren Sohn liebge- winnt, ihn zu ſich nimmt und ihm Land und Leute ſchenkt, und endlich als die Könige von Engelland und Frankreich, Beide ihrer Sünden wegen, — jener weil er ſeine Mutter verbrannt hatte, dieſer weil er ſeiner Tochter Gewalt anthun wollen, — nach Rom gekom- men waren, um Abſolution bei ihm zu gewinnen, geſchieht die Wiedererkennung, und die Könige führen in Freuden die Wiedergefundene nach Hauſe. Das Gedicht, wohl 15000 gereimte Verſe ſtark, tfi mit vieler Geläufigkeit und Freiheit in der Form gedichtet, und mit aller der Naivität und Einfalt dargeſtellt, die alle Werke jener frühern Zeit bezeichnen. Die Handlung, die durch das Ganze geht, iſt ohne große Verwicklungen angelegt, ſo daß ſie gegen das Ende ſogar ganz in das Hiſtoriſche der Chronik ſich verliert. Der Character des Königs von Engelland iſt recht brav gehalten, treu,

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/156>, abgerufen am 21.11.2024.