vor der untreuwen, hinderlistigen, geschwinden bösen Welt und Weltkindern zu hüten, vorzusehen, auch Weisheit und Vorsichtigkeit daraus zu lernen, durch schöne alte Beyspiel und weltweise Lehren unvergrifflich uff historien der Gethier gewendt und fürgestellt". Sieht man auf den Inhalt des Buchs, dann findet man in ihm auf jedem Blatte das Wesen und den Geist der Zeit, in der es entstanden ist. Da der Verstand noch jung war und die Abstraction, und kindisch sie sich über ihr kindisch Lallen freuten; da der, welcher einen ein- fachen Sittenspruch oder eine moralische Sentenz neu in sich gefunden hatte, als Weiser galt, und die Bewun- derung seiner Nation auf sich lenkte: da mußte dies Werk als ein geniales, als ein übermenschliches Pro- duct erscheinen, und die vielen Moralitäten und Weit- schweifigkeiten, die uns wohl langweilig vorkommen, mußten der einfältigen Zeit wie Göttersprüche tönen. Aber was uns noch immer genial erscheint, weil es nun hinter uns liegt, und wir es in der Eile unserer Bildung überflügelten und verlohren, das ist jene schöne unschuldige Raivetät in der Erfindung und der ganzen Behandlung der meisten Fabeln und Erzähl- ungen; jene kindliche Unbefangenheit, in der wir doch durchaus erwachsene und wieder sehr männliche Men- schen umwandeln sehen, und dabei die Ehrlichkeit und
vor der untreuwen, hinderliſtigen, geſchwinden böſen Welt und Weltkindern zu hüten, vorzuſehen, auch Weisheit und Vorſichtigkeit daraus zu lernen, durch ſchöne alte Beyſpiel und weltweiſe Lehren unvergrifflich uff hiſtorien der Gethier gewendt und fürgeſtellt“. Sieht man auf den Inhalt des Buchs, dann findet man in ihm auf jedem Blatte das Weſen und den Geiſt der Zeit, in der es entſtanden iſt. Da der Verſtand noch jung war und die Abſtraction, und kindiſch ſie ſich über ihr kindiſch Lallen freuten; da der, welcher einen ein- fachen Sittenſpruch oder eine moraliſche Sentenz neu in ſich gefunden hatte, als Weiſer galt, und die Bewun- derung ſeiner Nation auf ſich lenkte: da mußte dies Werk als ein geniales, als ein übermenſchliches Pro- duct erſcheinen, und die vielen Moralitäten und Weit- ſchweifigkeiten, die uns wohl langweilig vorkommen, mußten der einfältigen Zeit wie Götterſprüche tönen. Aber was uns noch immer genial erſcheint, weil es nun hinter uns liegt, und wir es in der Eile unſerer Bildung überflügelten und verlohren, das iſt jene ſchöne unſchuldige Raivetät in der Erfindung und der ganzen Behandlung der meiſten Fabeln und Erzähl- ungen; jene kindliche Unbefangenheit, in der wir doch durchaus erwachſene und wieder ſehr männliche Men- ſchen umwandeln ſehen, und dabei die Ehrlichkeit und
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vor der untreuwen, hinderliſtigen, geſchwinden böſen
Welt und Weltkindern zu hüten, vorzuſehen, auch
Weisheit und Vorſichtigkeit daraus zu lernen, durch
ſchöne alte Beyſpiel und weltweiſe Lehren unvergrifflich
uff hiſtorien der Gethier gewendt und fürgeſtellt“. Sieht
man auf den Inhalt des Buchs, dann findet man in
ihm auf jedem Blatte das Weſen und den Geiſt der
Zeit, in der es entſtanden iſt. Da der Verſtand noch
jung war und die Abſtraction, und kindiſch ſie ſich über
ihr kindiſch Lallen freuten; da der, welcher einen ein-
fachen Sittenſpruch oder eine moraliſche Sentenz neu
in ſich gefunden hatte, als Weiſer galt, und die Bewun-
derung ſeiner Nation auf ſich lenkte: da mußte dies
Werk als ein geniales, als ein übermenſchliches Pro-
duct erſcheinen, und die vielen Moralitäten und Weit-
ſchweifigkeiten, die uns wohl langweilig vorkommen,
mußten der einfältigen Zeit wie Götterſprüche tönen.
Aber was uns noch immer genial erſcheint, weil es
nun hinter uns liegt, und wir es in der Eile unſerer
Bildung überflügelten und verlohren, das iſt jene
ſchöne unſchuldige Raivetät in der Erfindung und der
ganzen Behandlung der meiſten Fabeln und Erzähl-
ungen; jene kindliche Unbefangenheit, in der wir doch
durchaus erwachſene und wieder ſehr männliche Men-
ſchen umwandeln ſehen, und dabei die Ehrlichkeit und
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/185>, abgerufen am 21.11.2024.
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