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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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beschäftigt; nie veraltend sind sie, tausend und tausendmal
wiederkehrend, stets willkommen; unermüdlich durch
alle Stände durchpulsirend und von unzählbaren Geistern
aufgenommen und angeeignet, sind sie immer gleich
belustigend, gleich erquicklich, gleich belehrend geblieben,
für so viele viele Sinne, die unbefangen ihrem inwohnen-
den Geiste sich geöffnet. So bilden sie gewissermaßen
den stammhaftesten Theil der ganzen Literatur, den
Kern ihres eigenthümlichen Lebens, das innerste Fun-
dament ihres ganzen körperlichen Bestandes, während
ihr höheres Leben bey den höheren Ständen wohnt.
Ob man wohlgethan, diesen Körper des Volksgeistes
als das Werkzeug der Sünde so geradehin herabzuwür-
digen; ob man wohlgethan, jene Schriften als des
Pöbelwitzes dumpfe Ausgeburten zu verschmähen, und
darum das Volk mit willkührlichen Beschränkungen und
Gewaltthätigkeiten zu irren, das ist wohl die Frage
nicht! Denn wir tadeln ja auch die Biene nicht, daß
sie im Sechseck baue, und die Seidenraupe nicht, daß
sie nur Seide und nicht Tressen und Purpurkleider webe,
und beginnen allmählig jetzt die Welt zu achten, wie
ohne Menschenweisheit sie die Natur zu ihrem Bestand
geordnet, und zur schönen humanen Duldung wohl
gelangt, lassen wir leben was athmen mag,
weil es sich nicht geziemt, des Herren Werke zu

beſchäftigt; nie veraltend ſind ſie, tauſend und tauſendmal
wiederkehrend, ſtets willkommen; unermüdlich durch
alle Stände durchpulſirend und von unzählbaren Geiſtern
aufgenommen und angeeignet, ſind ſie immer gleich
beluſtigend, gleich erquicklich, gleich belehrend geblieben,
für ſo viele viele Sinne, die unbefangen ihrem inwohnen-
den Geiſte ſich geöffnet. So bilden ſie gewiſſermaßen
den ſtammhafteſten Theil der ganzen Literatur, den
Kern ihres eigenthümlichen Lebens, das innerſte Fun-
dament ihres ganzen körperlichen Beſtandes, während
ihr höheres Leben bey den höheren Ständen wohnt.
Ob man wohlgethan, dieſen Körper des Volksgeiſtes
als das Werkzeug der Sünde ſo geradehin herabzuwür-
digen; ob man wohlgethan, jene Schriften als des
Pöbelwitzes dumpfe Ausgeburten zu verſchmähen, und
darum das Volk mit willkührlichen Beſchränkungen und
Gewaltthätigkeiten zu irren, das iſt wohl die Frage
nicht! Denn wir tadeln ja auch die Biene nicht, daß
ſie im Sechseck baue, und die Seidenraupe nicht, daß
ſie nur Seide und nicht Treſſen und Purpurkleider webe,
und beginnen allmählig jetzt die Welt zu achten, wie
ohne Menſchenweisheit ſie die Natur zu ihrem Beſtand
geordnet, und zur ſchönen humanen Duldung wohl
gelangt, laſſen wir leben was athmen mag,
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[2/0020] beſchäftigt; nie veraltend ſind ſie, tauſend und tauſendmal wiederkehrend, ſtets willkommen; unermüdlich durch alle Stände durchpulſirend und von unzählbaren Geiſtern aufgenommen und angeeignet, ſind ſie immer gleich beluſtigend, gleich erquicklich, gleich belehrend geblieben, für ſo viele viele Sinne, die unbefangen ihrem inwohnen- den Geiſte ſich geöffnet. So bilden ſie gewiſſermaßen den ſtammhafteſten Theil der ganzen Literatur, den Kern ihres eigenthümlichen Lebens, das innerſte Fun- dament ihres ganzen körperlichen Beſtandes, während ihr höheres Leben bey den höheren Ständen wohnt. Ob man wohlgethan, dieſen Körper des Volksgeiſtes als das Werkzeug der Sünde ſo geradehin herabzuwür- digen; ob man wohlgethan, jene Schriften als des Pöbelwitzes dumpfe Ausgeburten zu verſchmähen, und darum das Volk mit willkührlichen Beſchränkungen und Gewaltthätigkeiten zu irren, das iſt wohl die Frage nicht! Denn wir tadeln ja auch die Biene nicht, daß ſie im Sechseck baue, und die Seidenraupe nicht, daß ſie nur Seide und nicht Treſſen und Purpurkleider webe, und beginnen allmählig jetzt die Welt zu achten, wie ohne Menſchenweisheit ſie die Natur zu ihrem Beſtand geordnet, und zur ſchönen humanen Duldung wohl gelangt, laſſen wir leben was athmen mag, weil es ſich nicht geziemt, des Herren Werke zu

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/20>, abgerufen am 21.11.2024.