Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

vernichten. Von dieser toleranten Gesinnung der Gebil-
deten gegen die Ungebildeten wäre es, dünkt uns,
gut und gelegen in der Untersuchung auszugehen;
jene aber, die das Postulat nicht zuzugeben gesonnen
sind, werden es zugleich mit begründet finden, wenn
bewiesen worden, was bewiesen werden sollte. Das
nämlich ist die Frage, ob diese Schriften bei ihrer
äußeren Verbreitung wohl auch eine gewisse angemes-
sene innere Bedeutsamkeit besitzen; ob nicht zu spär-
lich für den höhern Sinn der Funken der bildenden
Kraft in ihnen glimme; ob nicht, das Alles zugegeben,
das Höhere, sobald es aus der Oberwelt in die pflan-
zenhafte, gefesselte Natur des Volks herabgestiegen,
dort seine ganze innere Lebendigkeit verliere, und in
ein unnützes Geranke verwildert, nur noch als schäd-
lich Unkraut üppig wuchre? Wahr ist's, schmackloses
Wasser führen die Ströme und die Brunnen nur,
die aus schlechter Erde quellen, während der Feuer-
wein nur auf wenigen sonnigten, hochaufstrebenden
Gebürgen reift; man hat recht gut und recht scharf-
sinnig bemerkt, daß die Feldblumen wenig Reize für
den gebildeten Dilettanten besitzen, und es ist ein kläg-
lich Ding um Alles, was die Natur weggeworfen, es
ist kaum des Aufhebens für den bemittelten Menschen
werth, was aber wirklich kostbar ist, das versteckt sie

vernichten. Von dieſer toleranten Geſinnung der Gebil-
deten gegen die Ungebildeten wäre es, dünkt uns,
gut und gelegen in der Unterſuchung auszugehen;
jene aber, die das Poſtulat nicht zuzugeben geſonnen
ſind, werden es zugleich mit begründet finden, wenn
bewieſen worden, was bewieſen werden ſollte. Das
nämlich iſt die Frage, ob dieſe Schriften bei ihrer
äußeren Verbreitung wohl auch eine gewiſſe angemeſ-
ſene innere Bedeutſamkeit beſitzen; ob nicht zu ſpär-
lich für den höhern Sinn der Funken der bildenden
Kraft in ihnen glimme; ob nicht, das Alles zugegeben,
das Höhere, ſobald es aus der Oberwelt in die pflan-
zenhafte, gefeſſelte Natur des Volks herabgeſtiegen,
dort ſeine ganze innere Lebendigkeit verliere, und in
ein unnützes Geranke verwildert, nur noch als ſchäd-
lich Unkraut üppig wuchre? Wahr iſt’s, ſchmackloſes
Waſſer führen die Ströme und die Brunnen nur,
die aus ſchlechter Erde quellen, während der Feuer-
wein nur auf wenigen ſonnigten, hochaufſtrebenden
Gebürgen reift; man hat recht gut und recht ſcharf-
ſinnig bemerkt, daß die Feldblumen wenig Reize für
den gebildeten Dilettanten beſitzen, und es iſt ein kläg-
lich Ding um Alles, was die Natur weggeworfen, es
iſt kaum des Aufhebens für den bemittelten Menſchen
werth, was aber wirklich koſtbar iſt, das verſteckt ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0021" n="3"/>
vernichten. Von die&#x017F;er toleranten Ge&#x017F;innung der Gebil-<lb/>
deten gegen die Ungebildeten wäre es, dünkt uns,<lb/>
gut und gelegen in der Unter&#x017F;uchung auszugehen;<lb/>
jene aber, die das Po&#x017F;tulat nicht zuzugeben ge&#x017F;onnen<lb/>
&#x017F;ind, werden es zugleich mit begründet finden, wenn<lb/>
bewie&#x017F;en worden, was bewie&#x017F;en werden &#x017F;ollte. Das<lb/>
nämlich i&#x017F;t die Frage, ob die&#x017F;e Schriften bei ihrer<lb/>
äußeren Verbreitung wohl auch eine gewi&#x017F;&#x017F;e angeme&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ene innere Bedeut&#x017F;amkeit be&#x017F;itzen; ob nicht zu &#x017F;pär-<lb/>
lich für den höhern Sinn der Funken der bildenden<lb/>
Kraft in ihnen glimme; ob nicht, das Alles zugegeben,<lb/>
das Höhere, &#x017F;obald es aus der Oberwelt in die pflan-<lb/>
zenhafte, gefe&#x017F;&#x017F;elte Natur des Volks herabge&#x017F;tiegen,<lb/>
dort &#x017F;eine ganze innere Lebendigkeit verliere, und in<lb/>
ein unnützes Geranke verwildert, nur noch als &#x017F;chäd-<lb/>
lich Unkraut üppig wuchre? Wahr i&#x017F;t&#x2019;s, &#x017F;chmacklo&#x017F;es<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er führen die Ströme und die Brunnen nur,<lb/>
die aus &#x017F;chlechter Erde quellen, während der Feuer-<lb/>
wein nur auf wenigen &#x017F;onnigten, hochauf&#x017F;trebenden<lb/>
Gebürgen reift; man hat recht gut und recht &#x017F;charf-<lb/>
&#x017F;innig bemerkt, daß die Feldblumen wenig Reize für<lb/>
den gebildeten Dilettanten be&#x017F;itzen, und es i&#x017F;t ein kläg-<lb/>
lich Ding um Alles, was die Natur weggeworfen, es<lb/>
i&#x017F;t kaum des Aufhebens für den bemittelten Men&#x017F;chen<lb/>
werth, was aber wirklich ko&#x017F;tbar i&#x017F;t, das ver&#x017F;teckt &#x017F;ie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0021] vernichten. Von dieſer toleranten Geſinnung der Gebil- deten gegen die Ungebildeten wäre es, dünkt uns, gut und gelegen in der Unterſuchung auszugehen; jene aber, die das Poſtulat nicht zuzugeben geſonnen ſind, werden es zugleich mit begründet finden, wenn bewieſen worden, was bewieſen werden ſollte. Das nämlich iſt die Frage, ob dieſe Schriften bei ihrer äußeren Verbreitung wohl auch eine gewiſſe angemeſ- ſene innere Bedeutſamkeit beſitzen; ob nicht zu ſpär- lich für den höhern Sinn der Funken der bildenden Kraft in ihnen glimme; ob nicht, das Alles zugegeben, das Höhere, ſobald es aus der Oberwelt in die pflan- zenhafte, gefeſſelte Natur des Volks herabgeſtiegen, dort ſeine ganze innere Lebendigkeit verliere, und in ein unnützes Geranke verwildert, nur noch als ſchäd- lich Unkraut üppig wuchre? Wahr iſt’s, ſchmackloſes Waſſer führen die Ströme und die Brunnen nur, die aus ſchlechter Erde quellen, während der Feuer- wein nur auf wenigen ſonnigten, hochaufſtrebenden Gebürgen reift; man hat recht gut und recht ſcharf- ſinnig bemerkt, daß die Feldblumen wenig Reize für den gebildeten Dilettanten beſitzen, und es iſt ein kläg- lich Ding um Alles, was die Natur weggeworfen, es iſt kaum des Aufhebens für den bemittelten Menſchen werth, was aber wirklich koſtbar iſt, das verſteckt ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/21
Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/21>, abgerufen am 21.11.2024.