vernichten. Von dieser toleranten Gesinnung der Gebil- deten gegen die Ungebildeten wäre es, dünkt uns, gut und gelegen in der Untersuchung auszugehen; jene aber, die das Postulat nicht zuzugeben gesonnen sind, werden es zugleich mit begründet finden, wenn bewiesen worden, was bewiesen werden sollte. Das nämlich ist die Frage, ob diese Schriften bei ihrer äußeren Verbreitung wohl auch eine gewisse angemes- sene innere Bedeutsamkeit besitzen; ob nicht zu spär- lich für den höhern Sinn der Funken der bildenden Kraft in ihnen glimme; ob nicht, das Alles zugegeben, das Höhere, sobald es aus der Oberwelt in die pflan- zenhafte, gefesselte Natur des Volks herabgestiegen, dort seine ganze innere Lebendigkeit verliere, und in ein unnützes Geranke verwildert, nur noch als schäd- lich Unkraut üppig wuchre? Wahr ist's, schmackloses Wasser führen die Ströme und die Brunnen nur, die aus schlechter Erde quellen, während der Feuer- wein nur auf wenigen sonnigten, hochaufstrebenden Gebürgen reift; man hat recht gut und recht scharf- sinnig bemerkt, daß die Feldblumen wenig Reize für den gebildeten Dilettanten besitzen, und es ist ein kläg- lich Ding um Alles, was die Natur weggeworfen, es ist kaum des Aufhebens für den bemittelten Menschen werth, was aber wirklich kostbar ist, das versteckt sie
vernichten. Von dieſer toleranten Geſinnung der Gebil- deten gegen die Ungebildeten wäre es, dünkt uns, gut und gelegen in der Unterſuchung auszugehen; jene aber, die das Poſtulat nicht zuzugeben geſonnen ſind, werden es zugleich mit begründet finden, wenn bewieſen worden, was bewieſen werden ſollte. Das nämlich iſt die Frage, ob dieſe Schriften bei ihrer äußeren Verbreitung wohl auch eine gewiſſe angemeſ- ſene innere Bedeutſamkeit beſitzen; ob nicht zu ſpär- lich für den höhern Sinn der Funken der bildenden Kraft in ihnen glimme; ob nicht, das Alles zugegeben, das Höhere, ſobald es aus der Oberwelt in die pflan- zenhafte, gefeſſelte Natur des Volks herabgeſtiegen, dort ſeine ganze innere Lebendigkeit verliere, und in ein unnützes Geranke verwildert, nur noch als ſchäd- lich Unkraut üppig wuchre? Wahr iſt’s, ſchmackloſes Waſſer führen die Ströme und die Brunnen nur, die aus ſchlechter Erde quellen, während der Feuer- wein nur auf wenigen ſonnigten, hochaufſtrebenden Gebürgen reift; man hat recht gut und recht ſcharf- ſinnig bemerkt, daß die Feldblumen wenig Reize für den gebildeten Dilettanten beſitzen, und es iſt ein kläg- lich Ding um Alles, was die Natur weggeworfen, es iſt kaum des Aufhebens für den bemittelten Menſchen werth, was aber wirklich koſtbar iſt, das verſteckt ſie
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vernichten. Von dieſer toleranten Geſinnung der Gebil-
deten gegen die Ungebildeten wäre es, dünkt uns,
gut und gelegen in der Unterſuchung auszugehen;
jene aber, die das Poſtulat nicht zuzugeben geſonnen
ſind, werden es zugleich mit begründet finden, wenn
bewieſen worden, was bewieſen werden ſollte. Das
nämlich iſt die Frage, ob dieſe Schriften bei ihrer
äußeren Verbreitung wohl auch eine gewiſſe angemeſ-
ſene innere Bedeutſamkeit beſitzen; ob nicht zu ſpär-
lich für den höhern Sinn der Funken der bildenden
Kraft in ihnen glimme; ob nicht, das Alles zugegeben,
das Höhere, ſobald es aus der Oberwelt in die pflan-
zenhafte, gefeſſelte Natur des Volks herabgeſtiegen,
dort ſeine ganze innere Lebendigkeit verliere, und in
ein unnützes Geranke verwildert, nur noch als ſchäd-
lich Unkraut üppig wuchre? Wahr iſt’s, ſchmackloſes
Waſſer führen die Ströme und die Brunnen nur,
die aus ſchlechter Erde quellen, während der Feuer-
wein nur auf wenigen ſonnigten, hochaufſtrebenden
Gebürgen reift; man hat recht gut und recht ſcharf-
ſinnig bemerkt, daß die Feldblumen wenig Reize für
den gebildeten Dilettanten beſitzen, und es iſt ein kläg-
lich Ding um Alles, was die Natur weggeworfen, es
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werth, was aber wirklich koſtbar iſt, das verſteckt ſie
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/21>, abgerufen am 21.11.2024.
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