recht tief und geizig in die vielen Falten ihres weiten Mantels, und nur wer die Wünschelruthe hat, der mag zu dem Verborgenen gelangen. Wahr scheints ferner auch, das Volk lebt ein sprossend, träumend, schläfrig Pflanzenleben; sein Geist bildet selten nur und wenig, und kann nur in dem Strahlenkreise der höheren Weltkräfte sich sonnen, seine Blüthe aber blüht Alles unter die Erde in die Wurzel hinab, um dort wie die Kartoffel eßbare Knollen anzusetzen, die die Sonne nimmer sehen. Nicht ganz so ungegründet zeigt sich daher wohl die Besorgniß, es sey da unten nichts zu suchen, als werthloses Gerölle, Kieselsteine, die die Ströme in den langen Zeitläuften rund und glatt gewälzt, schmutzige Scheidemünzen, die vielfältiges Betasten abgegriffen. Aber Manches mögte doch die- ser Ansicht wieder entgegenreden. Für's erste könnte es scheinen, als ob die künstliche Differenz der Stände, weil keineswegs die Natur unmittelbar sie gegründet, und in scharfen Umrissen abgegränzt, auch auf keine Weise von so gar mächtigem Einfluß wäre. In jedem Menschen sind, dünkt uns, eigentlich alle Stände; diese Zeit hat uns gelehrt, wie sie in einzelnen Indi- viduen alle der Reihe nach erwachten, bis endlich oben gar Kronen aus dem Unscheinbaren erblühten. In den obern Ständen sehen wir daher den Bauer und den
recht tief und geizig in die vielen Falten ihres weiten Mantels, und nur wer die Wünſchelruthe hat, der mag zu dem Verborgenen gelangen. Wahr ſcheints ferner auch, das Volk lebt ein ſproſſend, träumend, ſchläfrig Pflanzenleben; ſein Geiſt bildet ſelten nur und wenig, und kann nur in dem Strahlenkreiſe der höheren Weltkräfte ſich ſonnen, ſeine Blüthe aber blüht Alles unter die Erde in die Wurzel hinab, um dort wie die Kartoffel eßbare Knollen anzuſetzen, die die Sonne nimmer ſehen. Nicht ganz ſo ungegründet zeigt ſich daher wohl die Beſorgniß, es ſey da unten nichts zu ſuchen, als werthloſes Gerölle, Kieſelſteine, die die Ströme in den langen Zeitläuften rund und glatt gewälzt, ſchmutzige Scheidemünzen, die vielfältiges Betaſten abgegriffen. Aber Manches mögte doch die- ſer Anſicht wieder entgegenreden. Für’s erſte könnte es ſcheinen, als ob die künſtliche Differenz der Stände, weil keineswegs die Natur unmittelbar ſie gegründet, und in ſcharfen Umriſſen abgegränzt, auch auf keine Weiſe von ſo gar mächtigem Einfluß wäre. In jedem Menſchen ſind, dünkt uns, eigentlich alle Stände; dieſe Zeit hat uns gelehrt, wie ſie in einzelnen Indi- viduen alle der Reihe nach erwachten, bis endlich oben gar Kronen aus dem Unſcheinbaren erblühten. In den obern Ständen ſehen wir daher den Bauer und den
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recht tief und geizig in die vielen Falten ihres weiten
Mantels, und nur wer die Wünſchelruthe hat, der
mag zu dem Verborgenen gelangen. Wahr ſcheints
ferner auch, das Volk lebt ein ſproſſend, träumend,
ſchläfrig Pflanzenleben; ſein Geiſt bildet ſelten nur
und wenig, und kann nur in dem Strahlenkreiſe der
höheren Weltkräfte ſich ſonnen, ſeine Blüthe aber
blüht Alles unter die Erde in die Wurzel hinab, um
dort wie die Kartoffel eßbare Knollen anzuſetzen, die
die Sonne nimmer ſehen. Nicht ganz ſo ungegründet
zeigt ſich daher wohl die Beſorgniß, es ſey da unten
nichts zu ſuchen, als werthloſes Gerölle, Kieſelſteine,
die die Ströme in den langen Zeitläuften rund und
glatt gewälzt, ſchmutzige Scheidemünzen, die vielfältiges
Betaſten abgegriffen. Aber Manches mögte doch die-
ſer Anſicht wieder entgegenreden. Für’s erſte könnte
es ſcheinen, als ob die künſtliche Differenz der Stände,
weil keineswegs die Natur unmittelbar ſie gegründet,
und in ſcharfen Umriſſen abgegränzt, auch auf keine
Weiſe von ſo gar mächtigem Einfluß wäre. In jedem
Menſchen ſind, dünkt uns, eigentlich alle Stände;
dieſe Zeit hat uns gelehrt, wie ſie in einzelnen Indi-
viduen alle der Reihe nach erwachten, bis endlich oben
gar Kronen aus dem Unſcheinbaren erblühten. In den
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/22>, abgerufen am 03.12.2024.
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