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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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weil er Würdiges nicht vollbringen kann, lieber auf
seinem innern Reichthum ruht, und jede ungeziemende
Thätigkeit verschmäht. So erkennen wir endlich auch
den ächten innern Geist des teutschen Volkes, wie
die älteren Mahler seiner besseren Zeit ihn uns gebil-
det, einfach, ruhig, still, in sich geschlossen, ehrbar,
von sinnlicher Tiefe weniger in sich tragend, aber
dafür um so mehr für die höhern Motive aufgeschlos-
sen. Gerade die Demüthigung, die diesem Charakter
durch das Ungeschick der Führer bereitet worden ist,
muß die innere Scheidung in dem Wesen der Nation
vollenden; sich lossagend von dem, was die Verwor-
renheit der nächst vergangenen Zeit ihr aufgedrungen,
muß sie zurückkehren in sich selbst, zu dem was ihr
Eigenstes und Würdigstes ist, wegstoßend und preis-
gebend das Verkehrte; damit sie nicht gänzlich zer-
breche in dem feindseligen Andrang der Zeit.

Nachdem wir das Alles auf diese Weise erwogen,
wird der Gedanken einer Volksliteratur uns keines-
wegs mehr so nichtig und in sich selbst verwerflich
scheinen, als es so geradehin auf den ersten Blick den An-
schein gewann. Nachdem wir einen inwendigen Geist in
allen Ständen wohnend, und gleich einem schlackenlosen
Metallkönig durch alle Verunreinigung von Zeit und
Gelegenheit durchblickend anerkannt, wird auch die

weil er Würdiges nicht vollbringen kann, lieber auf
ſeinem innern Reichthum ruht, und jede ungeziemende
Thätigkeit verſchmäht. So erkennen wir endlich auch
den ächten innern Geiſt des teutſchen Volkes, wie
die älteren Mahler ſeiner beſſeren Zeit ihn uns gebil-
det, einfach, ruhig, ſtill, in ſich geſchloſſen, ehrbar,
von ſinnlicher Tiefe weniger in ſich tragend, aber
dafür um ſo mehr für die höhern Motive aufgeſchloſ-
ſen. Gerade die Demüthigung, die dieſem Charakter
durch das Ungeſchick der Führer bereitet worden iſt,
muß die innere Scheidung in dem Weſen der Nation
vollenden; ſich losſagend von dem, was die Verwor-
renheit der nächſt vergangenen Zeit ihr aufgedrungen,
muß ſie zurückkehren in ſich ſelbſt, zu dem was ihr
Eigenſtes und Würdigſtes iſt, wegſtoßend und preis-
gebend das Verkehrte; damit ſie nicht gänzlich zer-
breche in dem feindſeligen Andrang der Zeit.

Nachdem wir das Alles auf dieſe Weiſe erwogen,
wird der Gedanken einer Volksliteratur uns keines-
wegs mehr ſo nichtig und in ſich ſelbſt verwerflich
ſcheinen, als es ſo geradehin auf den erſten Blick den An-
ſchein gewann. Nachdem wir einen inwendigen Geiſt in
allen Ständen wohnend, und gleich einem ſchlackenloſen
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[8/0026] weil er Würdiges nicht vollbringen kann, lieber auf ſeinem innern Reichthum ruht, und jede ungeziemende Thätigkeit verſchmäht. So erkennen wir endlich auch den ächten innern Geiſt des teutſchen Volkes, wie die älteren Mahler ſeiner beſſeren Zeit ihn uns gebil- det, einfach, ruhig, ſtill, in ſich geſchloſſen, ehrbar, von ſinnlicher Tiefe weniger in ſich tragend, aber dafür um ſo mehr für die höhern Motive aufgeſchloſ- ſen. Gerade die Demüthigung, die dieſem Charakter durch das Ungeſchick der Führer bereitet worden iſt, muß die innere Scheidung in dem Weſen der Nation vollenden; ſich losſagend von dem, was die Verwor- renheit der nächſt vergangenen Zeit ihr aufgedrungen, muß ſie zurückkehren in ſich ſelbſt, zu dem was ihr Eigenſtes und Würdigſtes iſt, wegſtoßend und preis- gebend das Verkehrte; damit ſie nicht gänzlich zer- breche in dem feindſeligen Andrang der Zeit. Nachdem wir das Alles auf dieſe Weiſe erwogen, wird der Gedanken einer Volksliteratur uns keines- wegs mehr ſo nichtig und in ſich ſelbſt verwerflich ſcheinen, als es ſo geradehin auf den erſten Blick den An- ſchein gewann. Nachdem wir einen inwendigen Geiſt in allen Ständen wohnend, und gleich einem ſchlackenloſen Metallkönig durch alle Verunreinigung von Zeit und Gelegenheit durchblickend anerkannt, wird auch die

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/26>, abgerufen am 05.05.2024.