Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

sehnende, in innerem Lebensmuth begeisterte Gemüth sich
ergossen. Eintretend in die Welt, wie der Mensch selbst in
sie tritt, ohne Vorsatz, ohne Ueberlegung und willkührliche
Wahl, das Daseyn ein Geschenk höherer Mächte,
sind sie keineswegs Kunstwerke, sondern Naturwerke
wie die Pflanzen; oft aus dem Volke hinaus, oft
auch in dasselbe hineingesungen, bekunden sie in jedem
Falle eine ihm einwohnende Genialität, dort produc-
tiv sich äußernd, und durch die Naivität, die sie in
der Regel characterisirt, die Unschuld und die durchgän-
gige Verschlungenheit aller Kräfte in der Masse,
aus der sie aufgeblüht, verkündigend; hier aber durch
ihre innere Trefflichkeit den feinen Tact und den gera-
den Sinn bewährend, der schon so tief unten wohnt,
und nur von dem Besseren gerührt nur allein das
Bessere sich aneignet und bewahrt. Wie aber in die-
sen Liedern der im Volke verborgene lyrische Geist in
fröhlichen Lauten zuerst erwacht, und in wenig kunst-
losen Formen die innere Begeisterung sich offenbart,
und bald gegen das Ueberirdische hingerichtet, vom
Heiligen spricht und singt, so gut die schwere wenig
gelenke Zunge dem innern Enthusiasm Worte geben
kann; dann aber wieder der Umgebung zugewendet,
von dem Leben und seinen mannichfaltigen Beziehun-
gen dichtet, jubelt oder klagt und scherzt: so muß auf

ſehnende, in innerem Lebensmuth begeiſterte Gemüth ſich
ergoſſen. Eintretend in die Welt, wie der Menſch ſelbſt in
ſie tritt, ohne Vorſatz, ohne Ueberlegung und willkührliche
Wahl, das Daſeyn ein Geſchenk höherer Mächte,
ſind ſie keineswegs Kunſtwerke, ſondern Naturwerke
wie die Pflanzen; oft aus dem Volke hinaus, oft
auch in daſſelbe hineingeſungen, bekunden ſie in jedem
Falle eine ihm einwohnende Genialität, dort produc-
tiv ſich äußernd, und durch die Naivität, die ſie in
der Regel characteriſirt, die Unſchuld und die durchgän-
gige Verſchlungenheit aller Kräfte in der Maſſe,
aus der ſie aufgeblüht, verkündigend; hier aber durch
ihre innere Trefflichkeit den feinen Tact und den gera-
den Sinn bewährend, der ſchon ſo tief unten wohnt,
und nur von dem Beſſeren gerührt nur allein das
Beſſere ſich aneignet und bewahrt. Wie aber in die-
ſen Liedern der im Volke verborgene lyriſche Geiſt in
fröhlichen Lauten zuerſt erwacht, und in wenig kunſt-
loſen Formen die innere Begeiſterung ſich offenbart,
und bald gegen das Ueberirdiſche hingerichtet, vom
Heiligen ſpricht und ſingt, ſo gut die ſchwere wenig
gelenke Zunge dem innern Enthuſiasm Worte geben
kann; dann aber wieder der Umgebung zugewendet,
von dem Leben und ſeinen mannichfaltigen Beziehun-
gen dichtet, jubelt oder klagt und ſcherzt: ſo muß auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0033" n="15"/>
&#x017F;ehnende, in innerem Lebensmuth begei&#x017F;terte Gemüth &#x017F;ich<lb/>
ergo&#x017F;&#x017F;en. Eintretend in die Welt, wie der Men&#x017F;ch &#x017F;elb&#x017F;t in<lb/>
&#x017F;ie tritt, ohne Vor&#x017F;atz, ohne Ueberlegung und willkührliche<lb/>
Wahl, das Da&#x017F;eyn ein Ge&#x017F;chenk höherer Mächte,<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;ie keineswegs Kun&#x017F;twerke, &#x017F;ondern Naturwerke<lb/>
wie die Pflanzen; oft aus dem Volke hinaus, oft<lb/>
auch in da&#x017F;&#x017F;elbe hineinge&#x017F;ungen, bekunden &#x017F;ie in jedem<lb/>
Falle eine ihm einwohnende Genialität, dort produc-<lb/>
tiv &#x017F;ich äußernd, und durch die Naivität, die &#x017F;ie in<lb/>
der Regel characteri&#x017F;irt, die Un&#x017F;chuld und die durchgän-<lb/>
gige Ver&#x017F;chlungenheit aller Kräfte in der Ma&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
aus der &#x017F;ie aufgeblüht, verkündigend; hier aber durch<lb/>
ihre innere Trefflichkeit den feinen Tact und den gera-<lb/>
den Sinn bewährend, der &#x017F;chon &#x017F;o tief unten wohnt,<lb/>
und nur von dem Be&#x017F;&#x017F;eren gerührt nur allein das<lb/>
Be&#x017F;&#x017F;ere &#x017F;ich aneignet und bewahrt. Wie aber in die-<lb/>
&#x017F;en Liedern der im Volke verborgene lyri&#x017F;che Gei&#x017F;t in<lb/>
fröhlichen Lauten zuer&#x017F;t erwacht, und in wenig kun&#x017F;t-<lb/>
lo&#x017F;en Formen die innere Begei&#x017F;terung &#x017F;ich offenbart,<lb/>
und bald gegen das Ueberirdi&#x017F;che hingerichtet, vom<lb/>
Heiligen &#x017F;pricht und &#x017F;ingt, &#x017F;o gut die &#x017F;chwere wenig<lb/>
gelenke Zunge dem innern Enthu&#x017F;iasm Worte geben<lb/>
kann; dann aber wieder der Umgebung zugewendet,<lb/>
von dem Leben und &#x017F;einen mannichfaltigen Beziehun-<lb/>
gen dichtet, jubelt oder klagt und &#x017F;cherzt: &#x017F;o muß auf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0033] ſehnende, in innerem Lebensmuth begeiſterte Gemüth ſich ergoſſen. Eintretend in die Welt, wie der Menſch ſelbſt in ſie tritt, ohne Vorſatz, ohne Ueberlegung und willkührliche Wahl, das Daſeyn ein Geſchenk höherer Mächte, ſind ſie keineswegs Kunſtwerke, ſondern Naturwerke wie die Pflanzen; oft aus dem Volke hinaus, oft auch in daſſelbe hineingeſungen, bekunden ſie in jedem Falle eine ihm einwohnende Genialität, dort produc- tiv ſich äußernd, und durch die Naivität, die ſie in der Regel characteriſirt, die Unſchuld und die durchgän- gige Verſchlungenheit aller Kräfte in der Maſſe, aus der ſie aufgeblüht, verkündigend; hier aber durch ihre innere Trefflichkeit den feinen Tact und den gera- den Sinn bewährend, der ſchon ſo tief unten wohnt, und nur von dem Beſſeren gerührt nur allein das Beſſere ſich aneignet und bewahrt. Wie aber in die- ſen Liedern der im Volke verborgene lyriſche Geiſt in fröhlichen Lauten zuerſt erwacht, und in wenig kunſt- loſen Formen die innere Begeiſterung ſich offenbart, und bald gegen das Ueberirdiſche hingerichtet, vom Heiligen ſpricht und ſingt, ſo gut die ſchwere wenig gelenke Zunge dem innern Enthuſiasm Worte geben kann; dann aber wieder der Umgebung zugewendet, von dem Leben und ſeinen mannichfaltigen Beziehun- gen dichtet, jubelt oder klagt und ſcherzt: ſo muß auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/33
Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/33>, abgerufen am 03.12.2024.