Werk nun in Tafeln von Erz gegraben im großen Tempel der Nation aufgestellt. Die Tradition selbst aber, nach- dem sie auf diese Weise ein bleibendes Organ gefunden, verlor nun als Solche sich allmählig; während Andere Jahrhunderte hindurch umsonst auf die gleiche Erlösung wartend, von der fortschreitenden Kultur erreicht, in sich vergangen sind, und noch Andere in den entlegneren Gegenden, wo die Zeit das alte Dunkel noch nicht auf- geklärt, in der Dämmerung stillen Lichtern gleich, schweben, und auf eine bessere Zukunft verzweifelnd harren, weil die Misgunst der Umstände nicht wollte, daß die Vergangenheit ihnen Körper und Bestand gege- ben hätte. Von vielen dieser Volksbücher sagt ihre Geschichte ausdrücklich, daß sie auf solche Weise entstan- den sind; Andere tragen unverkennbar den Character dieser Abkunft in ihrem ganzen Wesen, und wenn man bei noch Anderen auf besondere historische Quellen sich be- ruft, dann findet man, wenn man die Natur dieser Quellen genauer prüft, immer wieder, wie sie zuletzt auf jene Sagen sich beziehen, und aus ihnen sich gesammelt haben.
Was aber die Didactischen, Lehrenden unter den Volksbüchern betrifft, so sind sie eben ihres innern reflec- tirenden Characters wegen durchaus modern, und in demselben Grade mehr modern, wie das Verständige in
Werk nun in Tafeln von Erz gegraben im großen Tempel der Nation aufgeſtellt. Die Tradition ſelbſt aber, nach- dem ſie auf dieſe Weiſe ein bleibendes Organ gefunden, verlor nun als Solche ſich allmählig; während Andere Jahrhunderte hindurch umſonſt auf die gleiche Erlöſung wartend, von der fortſchreitenden Kultur erreicht, in ſich vergangen ſind, und noch Andere in den entlegneren Gegenden, wo die Zeit das alte Dunkel noch nicht auf- geklärt, in der Dämmerung ſtillen Lichtern gleich, ſchweben, und auf eine beſſere Zukunft verzweifelnd harren, weil die Misgunſt der Umſtände nicht wollte, daß die Vergangenheit ihnen Körper und Beſtand gege- ben hätte. Von vielen dieſer Volksbücher ſagt ihre Geſchichte ausdrücklich, daß ſie auf ſolche Weiſe entſtan- den ſind; Andere tragen unverkennbar den Character dieſer Abkunft in ihrem ganzen Weſen, und wenn man bei noch Anderen auf beſondere hiſtoriſche Quellen ſich be- ruft, dann findet man, wenn man die Natur dieſer Quellen genauer prüft, immer wieder, wie ſie zuletzt auf jene Sagen ſich beziehen, und aus ihnen ſich geſammelt haben.
Was aber die Didactiſchen, Lehrenden unter den Volksbüchern betrifft, ſo ſind ſie eben ihres innern reflec- tirenden Characters wegen durchaus modern, und in demſelben Grade mehr modern, wie das Verſtändige in
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Werk nun in Tafeln von Erz gegraben im großen Tempel
der Nation aufgeſtellt. Die Tradition ſelbſt aber, nach-
dem ſie auf dieſe Weiſe ein bleibendes Organ gefunden,
verlor nun als Solche ſich allmählig; während Andere
Jahrhunderte hindurch umſonſt auf die gleiche Erlöſung
wartend, von der fortſchreitenden Kultur erreicht, in
ſich vergangen ſind, und noch Andere in den entlegneren
Gegenden, wo die Zeit das alte Dunkel noch nicht auf-
geklärt, in der Dämmerung ſtillen Lichtern gleich,
ſchweben, und auf eine beſſere Zukunft verzweifelnd
harren, weil die Misgunſt der Umſtände nicht wollte,
daß die Vergangenheit ihnen Körper und Beſtand gege-
ben hätte. Von vielen dieſer Volksbücher ſagt ihre
Geſchichte ausdrücklich, daß ſie auf ſolche Weiſe entſtan-
den ſind; Andere tragen unverkennbar den Character
dieſer Abkunft in ihrem ganzen Weſen, und wenn man
bei noch Anderen auf beſondere hiſtoriſche Quellen ſich be-
ruft, dann findet man, wenn man die Natur dieſer Quellen
genauer prüft, immer wieder, wie ſie zuletzt auf jene
Sagen ſich beziehen, und aus ihnen ſich geſammelt
haben.
Was aber die Didactiſchen, Lehrenden unter den
Volksbüchern betrifft, ſo ſind ſie eben ihres innern reflec-
tirenden Characters wegen durchaus modern, und in
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/37>, abgerufen am 23.11.2024.
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