Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

allgemeinem Beifall wurde dies Werk im Orient und
Occident aufgenommen, und La Croix in seinem
examen critique des historiens d' Alexandre le
grand,
zählt vierzehn verschiedne Ausgaben im La-
teinischen, jede beinahe von der andern durch willkühr-
liche Erweiterungen und Interpolirungen verschieden,
worunter die Historia Alexandri magni de prae-
liis
(1489) die meiste Celebrität erlangt zu haben
scheint. Ganz im neuern Mönchsgeist ist das Werk
geschrieben, in der äußern Form ungeschickt und un-
gelenk; man mögte sagen alle die schönen, reinen Um-
risse der antiken Bilder seyen mit der steifen Kutte
verdeckt, aber über der Verhüllung steht ein heiteres,
verklärtes Auge, und eine feuervolle Phantasie brennt
aus ihm hervor. Der Dichter sammelte die alten
Sagen, die im Orient und Occident nach und nach
über den Gegenstand sich gebildet hatten, und indem
er diese Traditionen nur zu einem Ganzen aneinan-
derreihte, entstand das sonderbare Werk, vielleicht das
Erste eigentlich Romantische, das den Geist der neuen
Poesie, den neugriechischen Gemählden gleich, mit
wenigen geraden, kunstlosen aber scharfen, treffenden
Zügen bezeichnete, und zuerst die ältere farbenlose
Plastik in ein modernes Farbenspiel sublimirt. Zu-
sprechend dem Geist der Zeit, nahm es diese auch

allgemeinem Beifall wurde dies Werk im Orient und
Occident aufgenommen, und La Croix in ſeinem
examen critique des historiens d’ Alexandre le
grand,
zählt vierzehn verſchiedne Ausgaben im La-
teiniſchen, jede beinahe von der andern durch willkühr-
liche Erweiterungen und Interpolirungen verſchieden,
worunter die Historia Alexandri magni de prae-
liis
(1489) die meiſte Celebrität erlangt zu haben
ſcheint. Ganz im neuern Mönchsgeiſt iſt das Werk
geſchrieben, in der äußern Form ungeſchickt und un-
gelenk; man mögte ſagen alle die ſchönen, reinen Um-
riſſe der antiken Bilder ſeyen mit der ſteifen Kutte
verdeckt, aber über der Verhüllung ſteht ein heiteres,
verklärtes Auge, und eine feuervolle Phantaſie brennt
aus ihm hervor. Der Dichter ſammelte die alten
Sagen, die im Orient und Occident nach und nach
über den Gegenſtand ſich gebildet hatten, und indem
er dieſe Traditionen nur zu einem Ganzen aneinan-
derreihte, entſtand das ſonderbare Werk, vielleicht das
Erſte eigentlich Romantiſche, das den Geiſt der neuen
Poeſie, den neugriechiſchen Gemählden gleich, mit
wenigen geraden, kunſtloſen aber ſcharfen, treffenden
Zügen bezeichnete, und zuerſt die ältere farbenloſe
Plaſtik in ein modernes Farbenſpiel ſublimirt. Zu-
ſprechend dem Geiſt der Zeit, nahm es dieſe auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0077" n="59"/>
allgemeinem Beifall wurde dies Werk im Orient und<lb/>
Occident aufgenommen, und La Croix in &#x017F;einem<lb/><hi rendition="#aq">examen critique des historiens d&#x2019; Alexandre le<lb/>
grand,</hi> zählt vierzehn ver&#x017F;chiedne Ausgaben im La-<lb/>
teini&#x017F;chen, jede beinahe von der andern durch willkühr-<lb/>
liche Erweiterungen und Interpolirungen ver&#x017F;chieden,<lb/>
worunter die <hi rendition="#aq">Historia Alexandri magni de prae-<lb/>
liis</hi> (1489) die mei&#x017F;te Celebrität erlangt zu haben<lb/>
&#x017F;cheint. Ganz im neuern Mönchsgei&#x017F;t i&#x017F;t das Werk<lb/>
ge&#x017F;chrieben, in der äußern Form unge&#x017F;chickt und un-<lb/>
gelenk; man mögte &#x017F;agen alle die &#x017F;chönen, reinen Um-<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;e der antiken Bilder &#x017F;eyen mit der &#x017F;teifen Kutte<lb/>
verdeckt, aber über der Verhüllung &#x017F;teht ein heiteres,<lb/>
verklärtes Auge, und eine feuervolle Phanta&#x017F;ie brennt<lb/>
aus ihm hervor. Der Dichter &#x017F;ammelte die alten<lb/>
Sagen, die im Orient und Occident nach und nach<lb/>
über den Gegen&#x017F;tand &#x017F;ich gebildet hatten, und indem<lb/>
er die&#x017F;e Traditionen nur zu einem Ganzen aneinan-<lb/>
derreihte, ent&#x017F;tand das &#x017F;onderbare Werk, vielleicht das<lb/>
Er&#x017F;te eigentlich Romanti&#x017F;che, das den Gei&#x017F;t der neuen<lb/>
Poe&#x017F;ie, den neugriechi&#x017F;chen Gemählden gleich, mit<lb/>
wenigen geraden, kun&#x017F;tlo&#x017F;en aber &#x017F;charfen, treffenden<lb/>
Zügen bezeichnete, und zuer&#x017F;t die ältere farbenlo&#x017F;e<lb/>
Pla&#x017F;tik in ein modernes Farben&#x017F;piel &#x017F;ublimirt. Zu-<lb/>
&#x017F;prechend dem Gei&#x017F;t der Zeit, nahm es die&#x017F;e auch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0077] allgemeinem Beifall wurde dies Werk im Orient und Occident aufgenommen, und La Croix in ſeinem examen critique des historiens d’ Alexandre le grand, zählt vierzehn verſchiedne Ausgaben im La- teiniſchen, jede beinahe von der andern durch willkühr- liche Erweiterungen und Interpolirungen verſchieden, worunter die Historia Alexandri magni de prae- liis (1489) die meiſte Celebrität erlangt zu haben ſcheint. Ganz im neuern Mönchsgeiſt iſt das Werk geſchrieben, in der äußern Form ungeſchickt und un- gelenk; man mögte ſagen alle die ſchönen, reinen Um- riſſe der antiken Bilder ſeyen mit der ſteifen Kutte verdeckt, aber über der Verhüllung ſteht ein heiteres, verklärtes Auge, und eine feuervolle Phantaſie brennt aus ihm hervor. Der Dichter ſammelte die alten Sagen, die im Orient und Occident nach und nach über den Gegenſtand ſich gebildet hatten, und indem er dieſe Traditionen nur zu einem Ganzen aneinan- derreihte, entſtand das ſonderbare Werk, vielleicht das Erſte eigentlich Romantiſche, das den Geiſt der neuen Poeſie, den neugriechiſchen Gemählden gleich, mit wenigen geraden, kunſtloſen aber ſcharfen, treffenden Zügen bezeichnete, und zuerſt die ältere farbenloſe Plaſtik in ein modernes Farbenſpiel ſublimirt. Zu- ſprechend dem Geiſt der Zeit, nahm es dieſe auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/77
Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/77>, abgerufen am 21.11.2024.