dioptrischen Farben der zweyten Classe und besonders die subjectiven Versuche umständlich genug ausgeführt, besonders aber im 18. Capitel von Paragraph 258. bis 284., auf das genaueste dargethan, was eigentlich vor- geht, wenn farbige Bilder durch Brechung verrückt werden. Es ist dort auf das klärste gezeigt, daß an farbigen Bildern, eben wie an farblosen, farbige Rän- der entstehen, welche mit der Fläche entweder gleich- namig oder ungleichnamig sind, in dem ersten Falle aber die Farbe der Fläche begünstigen, in dem andern sie beschmutzen und unscheinbar machen; und dieses ist es, was einem leichtsinnigen oder von Vorurtheilen be- nebelten Beobachter entgeht, und was auch den Autor zu der übereilten Folgerung verführte, wenn er aus- ruft:
44.
Deßhalb in beyden Fällen das Licht, welches von der blauen Hälfte des Papiers durch das Prisma zum Auge kommt, unter denselben Umständen eine größere Refraction er- leidet, als das Licht, das von der rothen Hälfte kommt, und folglich refrangibler ist als dieses.
45.
Dieß ist nun der Grund- und Eckstein des Newto- nischen optischen Werks; so sieht es mit einem Experi- ment aus, das dem Verfasser so viel zu bedeuten schien, daß er es aus hunderten heraushob, um es an die Spitze aller chromatischen Erfahrungen zu setzen. Wir haben schon (E. 268.) bemerkt, wie captiös und taschen- spielerisch dieser Versuch angegeben worden: denn wenn
dioptriſchen Farben der zweyten Claſſe und beſonders die ſubjectiven Verſuche umſtaͤndlich genug ausgefuͤhrt, beſonders aber im 18. Capitel von Paragraph 258. bis 284., auf das genaueſte dargethan, was eigentlich vor- geht, wenn farbige Bilder durch Brechung verruͤckt werden. Es iſt dort auf das klaͤrſte gezeigt, daß an farbigen Bildern, eben wie an farbloſen, farbige Raͤn- der entſtehen, welche mit der Flaͤche entweder gleich- namig oder ungleichnamig ſind, in dem erſten Falle aber die Farbe der Flaͤche beguͤnſtigen, in dem andern ſie beſchmutzen und unſcheinbar machen; und dieſes iſt es, was einem leichtſinnigen oder von Vorurtheilen be- nebelten Beobachter entgeht, und was auch den Autor zu der uͤbereilten Folgerung verfuͤhrte, wenn er aus- ruft:
44.
Deßhalb in beyden Faͤllen das Licht, welches von der blauen Haͤlfte des Papiers durch das Prisma zum Auge kommt, unter denſelben Umſtaͤnden eine groͤßere Refraction er- leidet, als das Licht, das von der rothen Haͤlfte kommt, und folglich refrangibler iſt als dieſes.
45.
Dieß iſt nun der Grund- und Eckſtein des Newto- niſchen optiſchen Werks; ſo ſieht es mit einem Experi- ment aus, das dem Verfaſſer ſo viel zu bedeuten ſchien, daß er es aus hunderten heraushob, um es an die Spitze aller chromatiſchen Erfahrungen zu ſetzen. Wir haben ſchon (E. 268.) bemerkt, wie captioͤs und taſchen- ſpieleriſch dieſer Verſuch angegeben worden: denn wenn
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0435"n="381"/>
dioptriſchen Farben der zweyten Claſſe und beſonders<lb/>
die ſubjectiven Verſuche umſtaͤndlich genug ausgefuͤhrt,<lb/>
beſonders aber im 18. Capitel von Paragraph 258. bis<lb/>
284., auf das genaueſte dargethan, was eigentlich vor-<lb/>
geht, wenn farbige Bilder durch Brechung verruͤckt<lb/>
werden. Es iſt dort auf das klaͤrſte gezeigt, daß an<lb/>
farbigen Bildern, eben wie an farbloſen, farbige Raͤn-<lb/>
der entſtehen, welche mit der Flaͤche entweder gleich-<lb/>
namig oder ungleichnamig ſind, in dem erſten Falle<lb/>
aber die Farbe der Flaͤche beguͤnſtigen, in dem andern<lb/>ſie beſchmutzen und unſcheinbar machen; und dieſes iſt<lb/>
es, was einem leichtſinnigen oder von Vorurtheilen be-<lb/>
nebelten Beobachter entgeht, und was auch den Autor<lb/>
zu der uͤbereilten Folgerung verfuͤhrte, wenn er aus-<lb/>
ruft:</p></div><lb/><divn="5"><head>44.</head><lb/><p>Deßhalb in beyden Faͤllen das Licht, welches von der<lb/>
blauen Haͤlfte des Papiers durch das Prisma zum Auge<lb/>
kommt, unter denſelben Umſtaͤnden eine groͤßere Refraction er-<lb/>
leidet, als das Licht, das von der rothen Haͤlfte kommt, und<lb/>
folglich refrangibler iſt als dieſes.</p></div><lb/><divn="5"><head>45.</head><lb/><p>Dieß iſt nun der Grund- und Eckſtein des Newto-<lb/>
niſchen optiſchen Werks; ſo ſieht es mit einem Experi-<lb/>
ment aus, das dem Verfaſſer ſo viel zu bedeuten ſchien,<lb/>
daß er es aus hunderten heraushob, um es an die<lb/>
Spitze aller chromatiſchen Erfahrungen zu ſetzen. Wir<lb/>
haben ſchon (E. 268.) bemerkt, wie captioͤs und taſchen-<lb/>ſpieleriſch dieſer Verſuch angegeben worden: denn wenn<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[381/0435]
dioptriſchen Farben der zweyten Claſſe und beſonders
die ſubjectiven Verſuche umſtaͤndlich genug ausgefuͤhrt,
beſonders aber im 18. Capitel von Paragraph 258. bis
284., auf das genaueſte dargethan, was eigentlich vor-
geht, wenn farbige Bilder durch Brechung verruͤckt
werden. Es iſt dort auf das klaͤrſte gezeigt, daß an
farbigen Bildern, eben wie an farbloſen, farbige Raͤn-
der entſtehen, welche mit der Flaͤche entweder gleich-
namig oder ungleichnamig ſind, in dem erſten Falle
aber die Farbe der Flaͤche beguͤnſtigen, in dem andern
ſie beſchmutzen und unſcheinbar machen; und dieſes iſt
es, was einem leichtſinnigen oder von Vorurtheilen be-
nebelten Beobachter entgeht, und was auch den Autor
zu der uͤbereilten Folgerung verfuͤhrte, wenn er aus-
ruft:
44.
Deßhalb in beyden Faͤllen das Licht, welches von der
blauen Haͤlfte des Papiers durch das Prisma zum Auge
kommt, unter denſelben Umſtaͤnden eine groͤßere Refraction er-
leidet, als das Licht, das von der rothen Haͤlfte kommt, und
folglich refrangibler iſt als dieſes.
45.
Dieß iſt nun der Grund- und Eckſtein des Newto-
niſchen optiſchen Werks; ſo ſieht es mit einem Experi-
ment aus, das dem Verfaſſer ſo viel zu bedeuten ſchien,
daß er es aus hunderten heraushob, um es an die
Spitze aller chromatiſchen Erfahrungen zu ſetzen. Wir
haben ſchon (E. 268.) bemerkt, wie captioͤs und taſchen-
ſpieleriſch dieſer Verſuch angegeben worden: denn wenn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/435>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.