Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

vielmehr rationell behandelt, wieder in die Irre ge-
führt.

Die Alten kannten das Gelbe, entspringend aus
gemäßigtem Licht; das Blaue bey Mitwirkung der Fin-
sterniß; das Rothe durch Verdichtung, Beschattung,
obgleich das Schwanken zwischen einer atomistischen
und dynamischen Vorstellungsart auch hier oft Undeut-
lichkeit und Verwirrung erregt.

Sie waren ganz nahe zu der Eintheilung gelangt,
die auch wir als die günstigste angesehen haben. Ei-
nige Farben schrieben sie dem bloßen Lichte zu, andere
dem Licht und den Mitteln; andre den Körpern als
inwohnend, und bey diesen letztern kannten sie das Ober-
flächliche der Farbe sowohl als ihr Penetratives und
hatten in die Umwandlung der chemischen Farben gute
Einsichten. Wenigstens wurden die verschiedenen Fälle
wohl bemerkt und die organische Kochung wohl beachtet.

Und so kann man sagen, sie kannten alle die
hauptsächlichsten Puncte, worauf es ankommt; aber sie
gelangten nicht dazu, ihre Erfahrungen zu reinigen
und zusammen zu bringen. Und wie einem Schatz-
gräber, der durch die mächtigsten Formeln den mit
Gold und Juwelen gefüllten blinkenden Kessel schon bis
an den Rand der Grube heraufgebracht hat, aber ein
Einziges an der Beschwörung versieht, das nah ge-
hoffte Glück unter Geprassel und Gepolter und dämo-
nischem Hohngelächter wieder zurücksinkt, um auf
späte Epochen hinaus abermals verscharrt zu liegen; so

8 *

vielmehr rationell behandelt, wieder in die Irre ge-
fuͤhrt.

Die Alten kannten das Gelbe, entſpringend aus
gemaͤßigtem Licht; das Blaue bey Mitwirkung der Fin-
ſterniß; das Rothe durch Verdichtung, Beſchattung,
obgleich das Schwanken zwiſchen einer atomiſtiſchen
und dynamiſchen Vorſtellungsart auch hier oft Undeut-
lichkeit und Verwirrung erregt.

Sie waren ganz nahe zu der Eintheilung gelangt,
die auch wir als die guͤnſtigſte angeſehen haben. Ei-
nige Farben ſchrieben ſie dem bloßen Lichte zu, andere
dem Licht und den Mitteln; andre den Koͤrpern als
inwohnend, und bey dieſen letztern kannten ſie das Ober-
flaͤchliche der Farbe ſowohl als ihr Penetratives und
hatten in die Umwandlung der chemiſchen Farben gute
Einſichten. Wenigſtens wurden die verſchiedenen Faͤlle
wohl bemerkt und die organiſche Kochung wohl beachtet.

Und ſo kann man ſagen, ſie kannten alle die
hauptſaͤchlichſten Puncte, worauf es ankommt; aber ſie
gelangten nicht dazu, ihre Erfahrungen zu reinigen
und zuſammen zu bringen. Und wie einem Schatz-
graͤber, der durch die maͤchtigſten Formeln den mit
Gold und Juwelen gefuͤllten blinkenden Keſſel ſchon bis
an den Rand der Grube heraufgebracht hat, aber ein
Einziges an der Beſchwoͤrung verſieht, das nah ge-
hoffte Gluͤck unter Gepraſſel und Gepolter und daͤmo-
niſchem Hohngelaͤchter wieder zuruͤckſinkt, um auf
ſpaͤte Epochen hinaus abermals verſcharrt zu liegen; ſo

8 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0149" n="115"/>
vielmehr rationell behandelt, wieder in die Irre ge-<lb/>
fu&#x0364;hrt.</p><lb/>
          <p>Die Alten kannten das Gelbe, ent&#x017F;pringend aus<lb/>
gema&#x0364;ßigtem Licht; das Blaue bey Mitwirkung der Fin-<lb/>
&#x017F;terniß; das Rothe durch Verdichtung, Be&#x017F;chattung,<lb/>
obgleich das Schwanken zwi&#x017F;chen einer atomi&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
und dynami&#x017F;chen Vor&#x017F;tellungsart auch hier oft Undeut-<lb/>
lichkeit und Verwirrung erregt.</p><lb/>
          <p>Sie waren ganz nahe zu der Eintheilung gelangt,<lb/>
die auch wir als die gu&#x0364;n&#x017F;tig&#x017F;te ange&#x017F;ehen haben. Ei-<lb/>
nige Farben &#x017F;chrieben &#x017F;ie dem bloßen Lichte zu, andere<lb/>
dem Licht und den Mitteln; andre den Ko&#x0364;rpern als<lb/>
inwohnend, und bey die&#x017F;en letztern kannten &#x017F;ie das Ober-<lb/>
fla&#x0364;chliche der Farbe &#x017F;owohl als ihr Penetratives und<lb/>
hatten in die Umwandlung der chemi&#x017F;chen Farben gute<lb/>
Ein&#x017F;ichten. Wenig&#x017F;tens wurden die ver&#x017F;chiedenen Fa&#x0364;lle<lb/>
wohl bemerkt und die organi&#x017F;che Kochung wohl beachtet.</p><lb/>
          <p>Und &#x017F;o kann man &#x017F;agen, &#x017F;ie kannten alle die<lb/>
haupt&#x017F;a&#x0364;chlich&#x017F;ten Puncte, worauf es ankommt; aber &#x017F;ie<lb/>
gelangten nicht dazu, ihre Erfahrungen zu reinigen<lb/>
und zu&#x017F;ammen zu bringen. Und wie einem Schatz-<lb/>
gra&#x0364;ber, der durch die ma&#x0364;chtig&#x017F;ten Formeln den mit<lb/>
Gold und Juwelen gefu&#x0364;llten blinkenden Ke&#x017F;&#x017F;el &#x017F;chon bis<lb/>
an den Rand der Grube heraufgebracht hat, aber ein<lb/>
Einziges an der Be&#x017F;chwo&#x0364;rung ver&#x017F;ieht, das nah ge-<lb/>
hoffte Glu&#x0364;ck unter Gepra&#x017F;&#x017F;el und Gepolter und da&#x0364;mo-<lb/>
ni&#x017F;chem Hohngela&#x0364;chter wieder zuru&#x0364;ck&#x017F;inkt, um auf<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;te Epochen hinaus abermals ver&#x017F;charrt zu liegen; &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">8 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0149] vielmehr rationell behandelt, wieder in die Irre ge- fuͤhrt. Die Alten kannten das Gelbe, entſpringend aus gemaͤßigtem Licht; das Blaue bey Mitwirkung der Fin- ſterniß; das Rothe durch Verdichtung, Beſchattung, obgleich das Schwanken zwiſchen einer atomiſtiſchen und dynamiſchen Vorſtellungsart auch hier oft Undeut- lichkeit und Verwirrung erregt. Sie waren ganz nahe zu der Eintheilung gelangt, die auch wir als die guͤnſtigſte angeſehen haben. Ei- nige Farben ſchrieben ſie dem bloßen Lichte zu, andere dem Licht und den Mitteln; andre den Koͤrpern als inwohnend, und bey dieſen letztern kannten ſie das Ober- flaͤchliche der Farbe ſowohl als ihr Penetratives und hatten in die Umwandlung der chemiſchen Farben gute Einſichten. Wenigſtens wurden die verſchiedenen Faͤlle wohl bemerkt und die organiſche Kochung wohl beachtet. Und ſo kann man ſagen, ſie kannten alle die hauptſaͤchlichſten Puncte, worauf es ankommt; aber ſie gelangten nicht dazu, ihre Erfahrungen zu reinigen und zuſammen zu bringen. Und wie einem Schatz- graͤber, der durch die maͤchtigſten Formeln den mit Gold und Juwelen gefuͤllten blinkenden Keſſel ſchon bis an den Rand der Grube heraufgebracht hat, aber ein Einziges an der Beſchwoͤrung verſieht, das nah ge- hoffte Gluͤck unter Gepraſſel und Gepolter und daͤmo- niſchem Hohngelaͤchter wieder zuruͤckſinkt, um auf ſpaͤte Epochen hinaus abermals verſcharrt zu liegen; ſo 8 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/149
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/149>, abgerufen am 18.12.2024.