Goethe, Johann Wolfgang von: Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. [s. l.], 1773. Weislingen. Jhr seyd zu streng Maria! Un- schuldige Liebe erfreut die Gottheit, statt sie zu be- leidigen. Maria. Es sey! Aber ich bin nicht dadurch er- baut. Man lehrte mich: Liebkosungen seyen wie Ketten stark durch ihre Verwandschaft, und Mäd- gen, wenn sie liebten, seyen schwächer als Simson nach dem Verlust seiner Locken. Weislingen. Wer lehrte euch das? Maria. Die Abtißin meines Klosters. Bis in mein sechzehnt Jahr war ich bey ihr, und nur mit euch empfind ich das Glück das ich in ihrem Um- gang genoß. Sie hatte geliebt, und durfte reden. Sie hatte ein Herz voll Empfindung! Sie war eine fürtrefliche Frau. Weislingen. Da glich sie dir! (er nimmt ihre Hand) Wie wird mirs werden, wenn ich euch ver- lassen soll! Maria. (zieht ihre Hand zurück) Ein bißgen eng hoff ich, denn ich weiß wie's mir seyn wird. Aber ihr sollt fort. Weisling. Ja, meine Theuerste und ich will. Denn ich fühle, welche Seeligkeiten ich mir durch dieses D 2
Weislingen. Jhr ſeyd zu ſtreng Maria! Un- ſchuldige Liebe erfreut die Gottheit, ſtatt ſie zu be- leidigen. Maria. Es ſey! Aber ich bin nicht dadurch er- baut. Man lehrte mich: Liebkoſungen ſeyen wie Ketten ſtark durch ihre Verwandſchaft, und Maͤd- gen, wenn ſie liebten, ſeyen ſchwaͤcher als Simſon nach dem Verluſt ſeiner Locken. Weislingen. Wer lehrte euch das? Maria. Die Abtißin meines Kloſters. Bis in mein ſechzehnt Jahr war ich bey ihr, und nur mit euch empfind ich das Gluͤck das ich in ihrem Um- gang genoß. Sie hatte geliebt, und durfte reden. Sie hatte ein Herz voll Empfindung! Sie war eine fuͤrtrefliche Frau. Weislingen. Da glich ſie dir! (er nimmt ihre Hand) Wie wird mirs werden, wenn ich euch ver- laſſen ſoll! Maria. (zieht ihre Hand zuruͤck) Ein bißgen eng hoff ich, denn ich weiß wie’s mir ſeyn wird. Aber ihr ſollt fort. Weisling. Ja, meine Theuerſte und ich will. Denn ich fuͤhle, welche Seeligkeiten ich mir durch dieſes D 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#MAR"> <pb facs="#f0055" n="51"/> <fw place="top" type="header"> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </fw> </sp> <sp who="#WEI"> <speaker> <hi rendition="#fr">Weislingen.</hi> </speaker> <p>Jhr ſeyd zu ſtreng Maria! Un-<lb/> ſchuldige Liebe erfreut die Gottheit, ſtatt ſie zu be-<lb/> leidigen.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker> <hi rendition="#fr">Maria.</hi> </speaker> <p>Es ſey! Aber ich bin nicht dadurch er-<lb/> baut. Man lehrte mich: Liebkoſungen ſeyen wie<lb/> Ketten ſtark durch ihre Verwandſchaft, und Maͤd-<lb/> gen, wenn ſie liebten, ſeyen ſchwaͤcher als Simſon<lb/> nach dem Verluſt ſeiner Locken.</p> </sp><lb/> <sp who="#WEI"> <speaker> <hi rendition="#fr">Weislingen.</hi> </speaker> <p>Wer lehrte euch das?</p> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker> <hi rendition="#fr">Maria.</hi> </speaker> <p>Die Abtißin meines Kloſters. Bis in<lb/> mein ſechzehnt Jahr war ich bey ihr, und nur mit<lb/> euch empfind ich das Gluͤck das ich in ihrem Um-<lb/> gang genoß. Sie hatte geliebt, und durfte reden.<lb/> Sie hatte ein Herz voll Empfindung! Sie war eine<lb/> fuͤrtrefliche Frau.</p> </sp><lb/> <sp who="#WEI"> <speaker> <hi rendition="#fr">Weislingen.</hi> </speaker> <p>Da glich ſie dir!</p> <stage>(er nimmt ihre<lb/> Hand)</stage> <p>Wie wird mirs werden, wenn ich euch ver-<lb/> laſſen ſoll!</p> </sp><lb/> <sp who="#MAR"> <speaker> <hi rendition="#fr">Maria.</hi> </speaker> <stage>(zieht ihre Hand zuruͤck)</stage> <p>Ein bißgen<lb/> eng hoff ich, denn ich weiß wie’s mir ſeyn wird.<lb/> Aber ihr ſollt fort.</p> </sp><lb/> <sp who="#WEI"> <speaker> <hi rendition="#fr">Weisling.</hi> </speaker> <p>Ja, meine Theuerſte und ich will.<lb/> Denn ich fuͤhle, welche Seeligkeiten ich mir durch<lb/> <fw place="bottom" type="sig">D 2</fw><fw place="bottom" type="catch">dieſes</fw><lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [51/0055]
Weislingen. Jhr ſeyd zu ſtreng Maria! Un-
ſchuldige Liebe erfreut die Gottheit, ſtatt ſie zu be-
leidigen.
Maria. Es ſey! Aber ich bin nicht dadurch er-
baut. Man lehrte mich: Liebkoſungen ſeyen wie
Ketten ſtark durch ihre Verwandſchaft, und Maͤd-
gen, wenn ſie liebten, ſeyen ſchwaͤcher als Simſon
nach dem Verluſt ſeiner Locken.
Weislingen. Wer lehrte euch das?
Maria. Die Abtißin meines Kloſters. Bis in
mein ſechzehnt Jahr war ich bey ihr, und nur mit
euch empfind ich das Gluͤck das ich in ihrem Um-
gang genoß. Sie hatte geliebt, und durfte reden.
Sie hatte ein Herz voll Empfindung! Sie war eine
fuͤrtrefliche Frau.
Weislingen. Da glich ſie dir! (er nimmt ihre
Hand) Wie wird mirs werden, wenn ich euch ver-
laſſen ſoll!
Maria. (zieht ihre Hand zuruͤck) Ein bißgen
eng hoff ich, denn ich weiß wie’s mir ſeyn wird.
Aber ihr ſollt fort.
Weisling. Ja, meine Theuerſte und ich will.
Denn ich fuͤhle, welche Seeligkeiten ich mir durch
dieſes
D 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |