Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.Iphigenie auf Tauris Iphigenie. Mit nichten! Dieses blutigen Beweises Bedarf es nicht, o König! Laßt die Hand Vom Schwerte! Denkt an mich und mein Geschick. Der rasche Kampf verewigt einen Mann: Er falle gleich, so preiset ihn das Lied. Allein die Thränen, die unendlichen Der überbliebnen, der verlaßnen Frau, Zählt keine Nachwelt, und der Dichter schweigt Von tausend durchgeweinten Tag- und Näch- ten, Wo eine stille Seele den verlornen, Rasch-abgeschied'nen Freund vergebens sich Zurückzurufen bangt und sich verzehrt. Mich selbst hat eine Sorge gleich gewarnt, Daß der Betrug nicht eines Räubers mich Vom sichern Schutzort reiße, mich der Knecht- schaft Verrathe. Fleißig hab' ich sie befragt, Nach jedem Umstand mich erkundigt, Zeichen Gefordert, und gewiß ist nun mein Herz. Iphigenie auf Tauris Iphigenie. Mit nichten! Dieſes blutigen Beweiſes Bedarf es nicht, o König! Laßt die Hand Vom Schwerte! Denkt an mich und mein Geſchick. Der raſche Kampf verewigt einen Mann: Er falle gleich, ſo preiſet ihn das Lied. Allein die Thränen, die unendlichen Der überbliebnen, der verlaßnen Frau, Zählt keine Nachwelt, und der Dichter ſchweigt Von tauſend durchgeweinten Tag- und Näch- ten, Wo eine ſtille Seele den verlornen, Raſch-abgeſchied’nen Freund vergebens ſich Zurückzurufen bangt und ſich verzehrt. Mich ſelbſt hat eine Sorge gleich gewarnt, Daß der Betrug nicht eines Räubers mich Vom ſichern Schutzort reiße, mich der Knecht- ſchaft Verrathe. Fleißig hab’ ich ſie befragt, Nach jedem Umſtand mich erkundigt, Zeichen Gefordert, und gewiß iſt nun mein Herz. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0139" n="130"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Iphigenie auf Tauris</hi> </fw><lb/> <sp who="#IPH"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Iphigenie</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Mit nichten! Dieſes blutigen Beweiſes<lb/> Bedarf es nicht, o König! Laßt die Hand<lb/> Vom Schwerte! Denkt an mich und mein<lb/> Geſchick.<lb/> Der raſche Kampf verewigt einen Mann:<lb/> Er falle gleich, ſo preiſet ihn das Lied.<lb/> Allein die Thränen, die unendlichen<lb/> Der überbliebnen, der verlaßnen Frau,<lb/> Zählt keine Nachwelt, und der Dichter ſchweigt<lb/> Von tauſend durchgeweinten Tag- und Näch-<lb/> ten,<lb/> Wo eine ſtille Seele den verlornen,<lb/> Raſch-abgeſchied’nen Freund vergebens ſich<lb/> Zurückzurufen bangt und ſich verzehrt.<lb/> Mich ſelbſt hat eine Sorge gleich gewarnt,<lb/> Daß der Betrug nicht eines Räubers mich<lb/> Vom ſichern Schutzort reiße, mich der Knecht-<lb/> ſchaft<lb/> Verrathe. Fleißig hab’ ich ſie befragt,<lb/> Nach jedem Umſtand mich erkundigt, Zeichen<lb/> Gefordert, und gewiß iſt nun mein Herz.<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [130/0139]
Iphigenie auf Tauris
Iphigenie.
Mit nichten! Dieſes blutigen Beweiſes
Bedarf es nicht, o König! Laßt die Hand
Vom Schwerte! Denkt an mich und mein
Geſchick.
Der raſche Kampf verewigt einen Mann:
Er falle gleich, ſo preiſet ihn das Lied.
Allein die Thränen, die unendlichen
Der überbliebnen, der verlaßnen Frau,
Zählt keine Nachwelt, und der Dichter ſchweigt
Von tauſend durchgeweinten Tag- und Näch-
ten,
Wo eine ſtille Seele den verlornen,
Raſch-abgeſchied’nen Freund vergebens ſich
Zurückzurufen bangt und ſich verzehrt.
Mich ſelbſt hat eine Sorge gleich gewarnt,
Daß der Betrug nicht eines Räubers mich
Vom ſichern Schutzort reiße, mich der Knecht-
ſchaft
Verrathe. Fleißig hab’ ich ſie befragt,
Nach jedem Umſtand mich erkundigt, Zeichen
Gefordert, und gewiß iſt nun mein Herz.
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