Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Auf diese Weise verstoß den Frankfurtern
während meiner Kindheit eine Reihe glück¬
licher Jahre. Aber kaum hatte ich am 28.
August 1756 mein siebentes Jahr zurück¬
gelegt, als gleich darauf jener weltbekannte
Krieg ausbrach, welcher auf die nächsten sie¬
ben Jahre meines Lebens auch großen Ein¬
fluß haben sollte. Friedrich der zweyte, Kö¬
nig von Preußen, war mit 60000 Mann in
Sachsen eingefallen, und statt einer vor¬
gängigen Kriegserklärung folgte ein Manifest,
wie man sagte, von ihm selbst verfaßt, welches
die Ursachen enthielt, die ihn zu einem solchen
ungeheuren Schritt bewogen und berechtigt.
Die Welt, die sich nicht nur als Zuschau¬
er, sondern auch als Richter aufgefordert
fand, spaltete sich sogleich in zwey Parteyen,
und unsere Familie war ein Bild des großen
Ganzen.

Mein Großvater, der als Schöff von
Frankfurt über Franz dem ersten den Krö¬

Auf dieſe Weiſe verſtoß den Frankfurtern
waͤhrend meiner Kindheit eine Reihe gluͤck¬
licher Jahre. Aber kaum hatte ich am 28.
Auguſt 1756 mein ſiebentes Jahr zuruͤck¬
gelegt, als gleich darauf jener weltbekannte
Krieg ausbrach, welcher auf die naͤchſten ſie¬
ben Jahre meines Lebens auch großen Ein¬
fluß haben ſollte. Friedrich der zweyte, Koͤ¬
nig von Preußen, war mit 60000 Mann in
Sachſen eingefallen, und ſtatt einer vor¬
gaͤngigen Kriegserklaͤrung folgte ein Manifeſt,
wie man ſagte, von ihm ſelbſt verfaßt, welches
die Urſachen enthielt, die ihn zu einem ſolchen
ungeheuren Schritt bewogen und berechtigt.
Die Welt, die ſich nicht nur als Zuſchau¬
er, ſondern auch als Richter aufgefordert
fand, ſpaltete ſich ſogleich in zwey Parteyen,
und unſere Familie war ein Bild des großen
Ganzen.

Mein Großvater, der als Schoͤff von
Frankfurt uͤber Franz dem erſten den Kroͤ¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0108" n="92"/>
        <p>Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e ver&#x017F;toß den Frankfurtern<lb/>
wa&#x0364;hrend meiner Kindheit eine Reihe glu&#x0364;ck¬<lb/>
licher Jahre. Aber kaum hatte ich am 28.<lb/>
Augu&#x017F;t 1756 mein &#x017F;iebentes Jahr zuru&#x0364;ck¬<lb/>
gelegt, als gleich darauf jener weltbekannte<lb/>
Krieg ausbrach, welcher auf die na&#x0364;ch&#x017F;ten &#x017F;ie¬<lb/>
ben Jahre meines Lebens auch großen Ein¬<lb/>
fluß haben &#x017F;ollte. Friedrich der zweyte, Ko&#x0364;¬<lb/>
nig von Preußen, war mit 60000 Mann in<lb/>
Sach&#x017F;en eingefallen, und &#x017F;tatt einer vor¬<lb/>
ga&#x0364;ngigen Kriegserkla&#x0364;rung folgte ein Manife&#x017F;t,<lb/>
wie man &#x017F;agte, von ihm &#x017F;elb&#x017F;t verfaßt, welches<lb/>
die Ur&#x017F;achen enthielt, die ihn zu einem &#x017F;olchen<lb/>
ungeheuren Schritt bewogen und berechtigt.<lb/>
Die Welt, die &#x017F;ich nicht nur als Zu&#x017F;chau¬<lb/>
er, &#x017F;ondern auch als Richter aufgefordert<lb/>
fand, &#x017F;paltete &#x017F;ich &#x017F;ogleich in zwey Parteyen,<lb/>
und un&#x017F;ere Familie war ein Bild des großen<lb/>
Ganzen.</p><lb/>
        <p>Mein Großvater, der als Scho&#x0364;ff von<lb/>
Frankfurt u&#x0364;ber Franz dem er&#x017F;ten den Kro&#x0364;¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0108] Auf dieſe Weiſe verſtoß den Frankfurtern waͤhrend meiner Kindheit eine Reihe gluͤck¬ licher Jahre. Aber kaum hatte ich am 28. Auguſt 1756 mein ſiebentes Jahr zuruͤck¬ gelegt, als gleich darauf jener weltbekannte Krieg ausbrach, welcher auf die naͤchſten ſie¬ ben Jahre meines Lebens auch großen Ein¬ fluß haben ſollte. Friedrich der zweyte, Koͤ¬ nig von Preußen, war mit 60000 Mann in Sachſen eingefallen, und ſtatt einer vor¬ gaͤngigen Kriegserklaͤrung folgte ein Manifeſt, wie man ſagte, von ihm ſelbſt verfaßt, welches die Urſachen enthielt, die ihn zu einem ſolchen ungeheuren Schritt bewogen und berechtigt. Die Welt, die ſich nicht nur als Zuſchau¬ er, ſondern auch als Richter aufgefordert fand, ſpaltete ſich ſogleich in zwey Parteyen, und unſere Familie war ein Bild des großen Ganzen. Mein Großvater, der als Schoͤff von Frankfurt uͤber Franz dem erſten den Kroͤ¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/108
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/108>, abgerufen am 21.11.2024.