heißenamt meines Großvaters für die Fami¬ lie entsprang: denn indem er als der Erste unter seines Gleichen dastand, hatte dieses doch auch auf die Seinigen nicht geringen Einfluß. Und als ich mir einmal nach ge¬ haltenem Pfeifergerichte etwas darauf einzu¬ bilden schien, meinen Großvater in der Mitte des Schöffenraths, eine Stufe höher als die andern, unter dem Bilde des Kaisers gleichsam thronend gesehen zu haben; so sagte einer der Knaben höhnisch: ich sollte doch, wie der Pfau auf seine Füße, so auf meinen Großvater väterlicher Seite hinsehen, welcher Gastgeber zum Weidenhof gewesen, und wohl an die Thronen und Kronen keinen Anspruch gemacht hätte. Ich erwiderte darauf, daß ich davon keineswegs beschämt sey, weil ge¬ rade darin das Herrliche und Erhebende un¬ serer Vaterstadt bestehe, daß alle Bürger sich einander gleich halten dürften, und daß einem Jeden seine Thätigkeit nach seiner Art förderlich und ehrenvoll seyn könne. Es sey
heißenamt meines Großvaters fuͤr die Fami¬ lie entſprang: denn indem er als der Erſte unter ſeines Gleichen daſtand, hatte dieſes doch auch auf die Seinigen nicht geringen Einfluß. Und als ich mir einmal nach ge¬ haltenem Pfeifergerichte etwas darauf einzu¬ bilden ſchien, meinen Großvater in der Mitte des Schoͤffenraths, eine Stufe hoͤher als die andern, unter dem Bilde des Kaiſers gleichſam thronend geſehen zu haben; ſo ſagte einer der Knaben hoͤhniſch: ich ſollte doch, wie der Pfau auf ſeine Fuͤße, ſo auf meinen Großvater vaͤterlicher Seite hinſehen, welcher Gaſtgeber zum Weidenhof geweſen, und wohl an die Thronen und Kronen keinen Anſpruch gemacht haͤtte. Ich erwiderte darauf, daß ich davon keineswegs beſchaͤmt ſey, weil ge¬ rade darin das Herrliche und Erhebende un¬ ſerer Vaterſtadt beſtehe, daß alle Buͤrger ſich einander gleich halten duͤrften, und daß einem Jeden ſeine Thaͤtigkeit nach ſeiner Art foͤrderlich und ehrenvoll ſeyn koͤnne. Es ſey
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heißenamt meines Großvaters fuͤr die Fami¬
lie entſprang: denn indem er als der Erſte
unter ſeines Gleichen daſtand, hatte dieſes
doch auch auf die Seinigen nicht geringen
Einfluß. Und als ich mir einmal nach ge¬
haltenem Pfeifergerichte etwas darauf einzu¬
bilden ſchien, meinen Großvater in der Mitte
des Schoͤffenraths, eine Stufe hoͤher als
die andern, unter dem Bilde des Kaiſers
gleichſam thronend geſehen zu haben; ſo ſagte
einer der Knaben hoͤhniſch: ich ſollte doch,
wie der Pfau auf ſeine Fuͤße, ſo auf meinen
Großvater vaͤterlicher Seite hinſehen, welcher
Gaſtgeber zum Weidenhof geweſen, und wohl
an die Thronen und Kronen keinen Anſpruch
gemacht haͤtte. Ich erwiderte darauf, daß
ich davon keineswegs beſchaͤmt ſey, weil ge¬
rade darin das Herrliche und Erhebende un¬
ſerer Vaterſtadt beſtehe, daß alle Buͤrger
ſich einander gleich halten duͤrften, und daß
einem Jeden ſeine Thaͤtigkeit nach ſeiner Art
foͤrderlich und ehrenvoll ſeyn koͤnne. Es ſey
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/164>, abgerufen am 21.11.2024.
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