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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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an Wiederholung des Gesprächs über diesen
Gegenstand; aber beyde Theile entfernten
sich immer weiter von einander, es gab hef¬
tige Scenen, und der nachgiebige Mann
ließ sich endlich gefallen, von seinem Lieb¬
lingswerke zu schweigen, damit er nicht zu¬
gleich einen Jugendfreund und eine gute
Sonntagssuppe verlöre.

Proselyten zu machen ist der natürlichste
Wunsch eines jeden Menschen, und wie sehr
fand sich unser Freund im Stillen belohnt,
als er in der übrigen Familie für seinen Hei¬
ligen so offen gesinnte Gemüther entdeckte.
Das Exemplar, das er jährlich nur eine
Woche brauchte, war uns für die übrige
Zeit gewidmet. Die Mutter hielt es heim¬
lich, und wir Geschwister bemächtigten uns
desselben wann wir konnten, um in Frey¬
stunden, in irgend einem Winkel verborgen,
die auffallendsten Stellen auswendig zu ler¬
nen, und besonders die zartesten und heftig¬

I. 12

an Wiederholung des Geſpraͤchs uͤber dieſen
Gegenſtand; aber beyde Theile entfernten
ſich immer weiter von einander, es gab hef¬
tige Scenen, und der nachgiebige Mann
ließ ſich endlich gefallen, von ſeinem Lieb¬
lingswerke zu ſchweigen, damit er nicht zu¬
gleich einen Jugendfreund und eine gute
Sonntagsſuppe verloͤre.

Proſelyten zu machen iſt der natuͤrlichſte
Wunſch eines jeden Menſchen, und wie ſehr
fand ſich unſer Freund im Stillen belohnt,
als er in der uͤbrigen Familie fuͤr ſeinen Hei¬
ligen ſo offen geſinnte Gemuͤther entdeckte.
Das Exemplar, das er jaͤhrlich nur eine
Woche brauchte, war uns fuͤr die uͤbrige
Zeit gewidmet. Die Mutter hielt es heim¬
lich, und wir Geſchwiſter bemaͤchtigten uns
deſſelben wann wir konnten, um in Frey¬
ſtunden, in irgend einem Winkel verborgen,
die auffallendſten Stellen auswendig zu ler¬
nen, und beſonders die zarteſten und heftig¬

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[177/0193] an Wiederholung des Geſpraͤchs uͤber dieſen Gegenſtand; aber beyde Theile entfernten ſich immer weiter von einander, es gab hef¬ tige Scenen, und der nachgiebige Mann ließ ſich endlich gefallen, von ſeinem Lieb¬ lingswerke zu ſchweigen, damit er nicht zu¬ gleich einen Jugendfreund und eine gute Sonntagsſuppe verloͤre. Proſelyten zu machen iſt der natuͤrlichſte Wunſch eines jeden Menſchen, und wie ſehr fand ſich unſer Freund im Stillen belohnt, als er in der uͤbrigen Familie fuͤr ſeinen Hei¬ ligen ſo offen geſinnte Gemuͤther entdeckte. Das Exemplar, das er jaͤhrlich nur eine Woche brauchte, war uns fuͤr die uͤbrige Zeit gewidmet. Die Mutter hielt es heim¬ lich, und wir Geſchwiſter bemaͤchtigten uns deſſelben wann wir konnten, um in Frey¬ ſtunden, in irgend einem Winkel verborgen, die auffallendſten Stellen auswendig zu ler¬ nen, und beſonders die zarteſten und heftig¬ I. 12

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/193>, abgerufen am 21.11.2024.