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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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und ich nun den langen düstern Klostergang
durchzuwandeln hatte. Wir saßen in seiner
Bibliothek an einem mit Wachstuch beschlage¬
nen Tische; ein sehr durchlesener Lucian kam
nie von seiner Seite.

Ohngeachtet alles Wohlwollens gelangte
ich doch nicht ohne Einstand zur Sache:
denn mein Lehrer konnte gewisse spöttische
Anmerkungen, und was es denn mit dem
Hebräischen eigentlich solle, nicht unterdrücken.
Ich verschwieg ihm die Absicht auf das Ju¬
dendeutsch, und sprach von besserem Ver¬
ständniß des Grundtextes. Darauf lächelte
er und meynte, ich solle schon zufrieden seyn,
wenn ich nur lesen lernte. Dieß verdroß
mich im Stillen, und ich nahm alle meine
Aufmerksamkeit zusammen, als es an die
Buchstaben kam. Ich fand ein Alphabet das
ohngefähr dem griechischen zur Seite ging,
dessen Gestalten faßlich, dessen Benennungen
mir zum größten Theil nicht fremd waren.

und ich nun den langen duͤſtern Kloſtergang
durchzuwandeln hatte. Wir ſaßen in ſeiner
Bibliothek an einem mit Wachstuch beſchlage¬
nen Tiſche; ein ſehr durchleſener Lucian kam
nie von ſeiner Seite.

Ohngeachtet alles Wohlwollens gelangte
ich doch nicht ohne Einſtand zur Sache:
denn mein Lehrer konnte gewiſſe ſpoͤttiſche
Anmerkungen, und was es denn mit dem
Hebraͤiſchen eigentlich ſolle, nicht unterdruͤcken.
Ich verſchwieg ihm die Abſicht auf das Ju¬
dendeutſch, und ſprach von beſſerem Ver¬
ſtaͤndniß des Grundtextes. Darauf laͤchelte
er und meynte, ich ſolle ſchon zufrieden ſeyn,
wenn ich nur leſen lernte. Dieß verdroß
mich im Stillen, und ich nahm alle meine
Aufmerkſamkeit zuſammen, als es an die
Buchſtaben kam. Ich fand ein Alphabet das
ohngefaͤhr dem griechiſchen zur Seite ging,
deſſen Geſtalten faßlich, deſſen Benennungen
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[293/0309] und ich nun den langen duͤſtern Kloſtergang durchzuwandeln hatte. Wir ſaßen in ſeiner Bibliothek an einem mit Wachstuch beſchlage¬ nen Tiſche; ein ſehr durchleſener Lucian kam nie von ſeiner Seite. Ohngeachtet alles Wohlwollens gelangte ich doch nicht ohne Einſtand zur Sache: denn mein Lehrer konnte gewiſſe ſpoͤttiſche Anmerkungen, und was es denn mit dem Hebraͤiſchen eigentlich ſolle, nicht unterdruͤcken. Ich verſchwieg ihm die Abſicht auf das Ju¬ dendeutſch, und ſprach von beſſerem Ver¬ ſtaͤndniß des Grundtextes. Darauf laͤchelte er und meynte, ich ſolle ſchon zufrieden ſeyn, wenn ich nur leſen lernte. Dieß verdroß mich im Stillen, und ich nahm alle meine Aufmerkſamkeit zuſammen, als es an die Buchſtaben kam. Ich fand ein Alphabet das ohngefaͤhr dem griechiſchen zur Seite ging, deſſen Geſtalten faßlich, deſſen Benennungen mir zum groͤßten Theil nicht fremd waren.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/309>, abgerufen am 25.11.2024.