Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

änderung in dem Zustande derselben nach sich
zog.

So lange die Großmutter lebte, hatte
mein Vater sich gehütet, nur das Mindeste
im Hause zu verändern oder zu erneuern;
aber man wußte wohl, daß er sich zu einem
Hauptbau vorbereitete, der nunmehr auch so¬
gleich vorgenommen wurde. In Frankfurt,
wie in mehrern alten Städten, hatte man bey
Aufführung hölzerner Gebäude, um Platz zu
gewinnen, sich erlaubt, nicht allein mit dem
ersten, sondern auch mit den folgenden Sto¬
cken überzubauen; wodurch denn freylich be¬
sonders enge Straßen etwas Düsteres und
Aengstliches bekamen. Endlich ging ein Ge¬
setz durch, daß wer ein neues Haus von
Grund auf baue, nur mit dem ersten Stock
über das Fundament herausrücken dürfe, die
übrigen aber senkrecht aufführen müsse. Mein
Vater, um den vorspringenden Raum im
zweyten Stock auch nicht aufzugeben, wenig

aͤnderung in dem Zuſtande derſelben nach ſich
zog.

So lange die Großmutter lebte, hatte
mein Vater ſich gehuͤtet, nur das Mindeſte
im Hauſe zu veraͤndern oder zu erneuern;
aber man wußte wohl, daß er ſich zu einem
Hauptbau vorbereitete, der nunmehr auch ſo¬
gleich vorgenommen wurde. In Frankfurt,
wie in mehrern alten Staͤdten, hatte man bey
Auffuͤhrung hoͤlzerner Gebaͤude, um Platz zu
gewinnen, ſich erlaubt, nicht allein mit dem
erſten, ſondern auch mit den folgenden Sto¬
cken uͤberzubauen; wodurch denn freylich be¬
ſonders enge Straßen etwas Duͤſteres und
Aengſtliches bekamen. Endlich ging ein Ge¬
ſetz durch, daß wer ein neues Haus von
Grund auf baue, nur mit dem erſten Stock
uͤber das Fundament herausruͤcken duͤrfe, die
uͤbrigen aber ſenkrecht auffuͤhren muͤſſe. Mein
Vater, um den vorſpringenden Raum im
zweyten Stock auch nicht aufzugeben, wenig

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0032" n="16"/>
a&#x0364;nderung in dem Zu&#x017F;tande der&#x017F;elben nach &#x017F;ich<lb/>
zog.</p><lb/>
      <p>So lange die Großmutter lebte, hatte<lb/>
mein Vater &#x017F;ich gehu&#x0364;tet, nur das Minde&#x017F;te<lb/>
im Hau&#x017F;e zu vera&#x0364;ndern oder zu erneuern;<lb/>
aber man wußte wohl, daß er &#x017F;ich zu einem<lb/>
Hauptbau vorbereitete, der nunmehr auch &#x017F;<lb/>
gleich vorgenommen wurde. In Frankfurt,<lb/>
wie in mehrern alten Sta&#x0364;dten, hatte man bey<lb/>
Auffu&#x0364;hrung ho&#x0364;lzerner Geba&#x0364;ude, um Platz zu<lb/>
gewinnen, &#x017F;ich erlaubt, nicht allein mit dem<lb/>
er&#x017F;ten, &#x017F;ondern auch mit den folgenden Sto¬<lb/>
cken u&#x0364;berzubauen; wodurch denn freylich be¬<lb/>
&#x017F;onders enge Straßen etwas Du&#x0364;&#x017F;teres und<lb/>
Aeng&#x017F;tliches bekamen. Endlich ging ein Ge¬<lb/>
&#x017F;etz durch, daß wer ein neues Haus von<lb/>
Grund auf baue, nur mit dem er&#x017F;ten Stock<lb/>
u&#x0364;ber das Fundament herausru&#x0364;cken du&#x0364;rfe, die<lb/>
u&#x0364;brigen aber &#x017F;enkrecht auffu&#x0364;hren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Mein<lb/>
Vater, um den vor&#x017F;pringenden Raum im<lb/>
zweyten Stock auch nicht aufzugeben, wenig<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0032] aͤnderung in dem Zuſtande derſelben nach ſich zog. So lange die Großmutter lebte, hatte mein Vater ſich gehuͤtet, nur das Mindeſte im Hauſe zu veraͤndern oder zu erneuern; aber man wußte wohl, daß er ſich zu einem Hauptbau vorbereitete, der nunmehr auch ſo¬ gleich vorgenommen wurde. In Frankfurt, wie in mehrern alten Staͤdten, hatte man bey Auffuͤhrung hoͤlzerner Gebaͤude, um Platz zu gewinnen, ſich erlaubt, nicht allein mit dem erſten, ſondern auch mit den folgenden Sto¬ cken uͤberzubauen; wodurch denn freylich be¬ ſonders enge Straßen etwas Duͤſteres und Aengſtliches bekamen. Endlich ging ein Ge¬ ſetz durch, daß wer ein neues Haus von Grund auf baue, nur mit dem erſten Stock uͤber das Fundament herausruͤcken duͤrfe, die uͤbrigen aber ſenkrecht auffuͤhren muͤſſe. Mein Vater, um den vorſpringenden Raum im zweyten Stock auch nicht aufzugeben, wenig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/32
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/32>, abgerufen am 30.04.2024.