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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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in einem öffentlichen Laden und an einem Orte
zu wissen, wo die galante Welt gelegentlich
ihren Sammelplatz hatte. Doch ließ ich mir
nichts merken, und suchte meine eifersüchtige
Sorge im Stillen bey mir zu verarbeiten.
Hierzu gönnte mir der jüngere Vetter nicht
lange Zeit, der alsbald wieder mit dem Auf¬
trag zu einem Gelegenheits-Gedicht hervor¬
trat, mir die Personalien erzählte und sogleich
verlangte, daß ich mich zur Erfindung und
Disposition des Gedichtes anschicken möchte.
Er hatte schon einige Mal über die Behand¬
lung einer solchen Aufgabe mit mir gesprochen,
und wie ich in solchen Fällen sehr redselig
war, gar leicht von mir erlangt, daß ich
ihm, was an diesen Dingen rhetorisch ist,
umständlich auslegte, ihm einen Begriff von
der Sache gab und meine eigenen und fremden
Arbeiten dieser Art als Beyspiele benutzte.
Der junge Mensch war ein guter Kopf,
obgleich ohne Spur von poetischer Ader,
und nun ging er so sehr ins Einzelne und

in einem oͤffentlichen Laden und an einem Orte
zu wiſſen, wo die galante Welt gelegentlich
ihren Sammelplatz hatte. Doch ließ ich mir
nichts merken, und ſuchte meine eiferſuͤchtige
Sorge im Stillen bey mir zu verarbeiten.
Hierzu goͤnnte mir der juͤngere Vetter nicht
lange Zeit, der alsbald wieder mit dem Auf¬
trag zu einem Gelegenheits-Gedicht hervor¬
trat, mir die Perſonalien erzaͤhlte und ſogleich
verlangte, daß ich mich zur Erfindung und
Dispoſition des Gedichtes anſchicken moͤchte.
Er hatte ſchon einige Mal uͤber die Behand¬
lung einer ſolchen Aufgabe mit mir geſprochen,
und wie ich in ſolchen Faͤllen ſehr redſelig
war, gar leicht von mir erlangt, daß ich
ihm, was an dieſen Dingen rhetoriſch iſt,
umſtaͤndlich auslegte, ihm einen Begriff von
der Sache gab und meine eigenen und fremden
Arbeiten dieſer Art als Beyſpiele benutzte.
Der junge Menſch war ein guter Kopf,
obgleich ohne Spur von poetiſcher Ader,
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[425/0441] in einem oͤffentlichen Laden und an einem Orte zu wiſſen, wo die galante Welt gelegentlich ihren Sammelplatz hatte. Doch ließ ich mir nichts merken, und ſuchte meine eiferſuͤchtige Sorge im Stillen bey mir zu verarbeiten. Hierzu goͤnnte mir der juͤngere Vetter nicht lange Zeit, der alsbald wieder mit dem Auf¬ trag zu einem Gelegenheits-Gedicht hervor¬ trat, mir die Perſonalien erzaͤhlte und ſogleich verlangte, daß ich mich zur Erfindung und Dispoſition des Gedichtes anſchicken moͤchte. Er hatte ſchon einige Mal uͤber die Behand¬ lung einer ſolchen Aufgabe mit mir geſprochen, und wie ich in ſolchen Faͤllen ſehr redſelig war, gar leicht von mir erlangt, daß ich ihm, was an dieſen Dingen rhetoriſch iſt, umſtaͤndlich auslegte, ihm einen Begriff von der Sache gab und meine eigenen und fremden Arbeiten dieſer Art als Beyſpiele benutzte. Der junge Menſch war ein guter Kopf, obgleich ohne Spur von poetiſcher Ader, und nun ging er ſo ſehr ins Einzelne und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/441>, abgerufen am 24.11.2024.