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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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In den äußeren Formen ist er zwar mannig¬
faltig genug, aber durchaus bedient er sich
der directen Ironie zu viel, daß er nämlich
das Tadelnswürdige lobt und das Lobens¬
würdige tadelt, welches rednerische Mittel
nur höchst selten angewendet werden sollte:
denn auf die Dauer fällt es einsichtigen Men¬
schen verdrießlich, die schwachen macht es irre,
und behagt freylich der großen Mittelclasse,
welche, ohne besondern Geistesaufwand, sich
klüger dünken kann als Andere. Was er aber
und wie er es auch vorbringt zeugt von sei¬
ner Rechtlichkeit, Heiterkeit und Gleichmü¬
thigkeit, wodurch wir uns immer eingenom¬
men fühlen; der unbegrenzte Beyfall seiner
Zeit war eine Folge solcher sittlichen Vorzüge.

Daß man zu seinen allgemeinen Schilde¬
rungen Musterbilder suchte und fand, war na¬
türlich, daß Einzelne sich über ihn beschwer¬
ten, folgte daraus; seine allzulangen Verthei¬
digungen, daß seine Satyre keine persönliche

In den aͤußeren Formen iſt er zwar mannig¬
faltig genug, aber durchaus bedient er ſich
der directen Ironie zu viel, daß er naͤmlich
das Tadelnswuͤrdige lobt und das Lobens¬
wuͤrdige tadelt, welches redneriſche Mittel
nur hoͤchſt ſelten angewendet werden ſollte:
denn auf die Dauer faͤllt es einſichtigen Men¬
ſchen verdrießlich, die ſchwachen macht es irre,
und behagt freylich der großen Mittelclaſſe,
welche, ohne beſondern Geiſtesaufwand, ſich
kluͤger duͤnken kann als Andere. Was er aber
und wie er es auch vorbringt zeugt von ſei¬
ner Rechtlichkeit, Heiterkeit und Gleichmuͤ¬
thigkeit, wodurch wir uns immer eingenom¬
men fuͤhlen; der unbegrenzte Beyfall ſeiner
Zeit war eine Folge ſolcher ſittlichen Vorzuͤge.

Daß man zu ſeinen allgemeinen Schilde¬
rungen Muſterbilder ſuchte und fand, war na¬
tuͤrlich, daß Einzelne ſich uͤber ihn beſchwer¬
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[112/0120] In den aͤußeren Formen iſt er zwar mannig¬ faltig genug, aber durchaus bedient er ſich der directen Ironie zu viel, daß er naͤmlich das Tadelnswuͤrdige lobt und das Lobens¬ wuͤrdige tadelt, welches redneriſche Mittel nur hoͤchſt ſelten angewendet werden ſollte: denn auf die Dauer faͤllt es einſichtigen Men¬ ſchen verdrießlich, die ſchwachen macht es irre, und behagt freylich der großen Mittelclaſſe, welche, ohne beſondern Geiſtesaufwand, ſich kluͤger duͤnken kann als Andere. Was er aber und wie er es auch vorbringt zeugt von ſei¬ ner Rechtlichkeit, Heiterkeit und Gleichmuͤ¬ thigkeit, wodurch wir uns immer eingenom¬ men fuͤhlen; der unbegrenzte Beyfall ſeiner Zeit war eine Folge ſolcher ſittlichen Vorzuͤge. Daß man zu ſeinen allgemeinen Schilde¬ rungen Muſterbilder ſuchte und fand, war na¬ tuͤrlich, daß Einzelne ſich uͤber ihn beſchwer¬ ten, folgte daraus; ſeine allzulangen Verthei¬ digungen, daß ſeine Satyre keine perſoͤnliche

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/120>, abgerufen am 24.11.2024.