der etwas Productives in sich fühlte, war es ein verzweiflungsvoller Zustand.
Betrachtet man genau, was der deutschen Poesie fehlte, so war es ein Gehalt, und zwar ein nationeller; an Talenten war nie¬ mals Mangel. Hier gedenken wir nur Gün¬ thers, der ein Poet im vollen Sinne des Worts genannt werden darf. Ein entschiede¬ nes Talent, begabt mit Sinnlichkeit, Ein¬ bildungskraft, Gedächtniß, Gabe des Fassens und Vergegenwärtigens, fruchtbar im höchsten Grade, rhythmischbequem, geistreich, witzig und dabey vielfach unterrichtet; genug er be¬ saß alles, was dazu gehört, im Leben ein zweytes Leben durch Poesie hervorzubringen, und zwar in dem gemeinen wirklichen Leben. Wir bewundern seine große Leichtigkeit, in Gelegenheitsgedichten alle Zustände durchs Ge¬ fühl zu erhöhen und mit passenden Gesinnun¬ gen, Bildern, historischen und fabelhaften Ueberlieferungen zu schmücken. Das Rohe
der etwas Productives in ſich fuͤhlte, war es ein verzweiflungsvoller Zuſtand.
Betrachtet man genau, was der deutſchen Poeſie fehlte, ſo war es ein Gehalt, und zwar ein nationeller; an Talenten war nie¬ mals Mangel. Hier gedenken wir nur Guͤn¬ thers, der ein Poet im vollen Sinne des Worts genannt werden darf. Ein entſchiede¬ nes Talent, begabt mit Sinnlichkeit, Ein¬ bildungskraft, Gedaͤchtniß, Gabe des Faſſens und Vergegenwaͤrtigens, fruchtbar im hoͤchſten Grade, rhythmiſchbequem, geiſtreich, witzig und dabey vielfach unterrichtet; genug er be¬ ſaß alles, was dazu gehoͤrt, im Leben ein zweytes Leben durch Poeſie hervorzubringen, und zwar in dem gemeinen wirklichen Leben. Wir bewundern ſeine große Leichtigkeit, in Gelegenheitsgedichten alle Zuſtaͤnde durchs Ge¬ fuͤhl zu erhoͤhen und mit paſſenden Geſinnun¬ gen, Bildern, hiſtoriſchen und fabelhaften Ueberlieferungen zu ſchmuͤcken. Das Rohe
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der etwas Productives in ſich fuͤhlte, war es
ein verzweiflungsvoller Zuſtand.
Betrachtet man genau, was der deutſchen
Poeſie fehlte, ſo war es ein Gehalt, und
zwar ein nationeller; an Talenten war nie¬
mals Mangel. Hier gedenken wir nur Guͤn¬
thers, der ein Poet im vollen Sinne des
Worts genannt werden darf. Ein entſchiede¬
nes Talent, begabt mit Sinnlichkeit, Ein¬
bildungskraft, Gedaͤchtniß, Gabe des Faſſens
und Vergegenwaͤrtigens, fruchtbar im hoͤchſten
Grade, rhythmiſchbequem, geiſtreich, witzig
und dabey vielfach unterrichtet; genug er be¬
ſaß alles, was dazu gehoͤrt, im Leben ein
zweytes Leben durch Poeſie hervorzubringen,
und zwar in dem gemeinen wirklichen Leben.
Wir bewundern ſeine große Leichtigkeit, in
Gelegenheitsgedichten alle Zuſtaͤnde durchs Ge¬
fuͤhl zu erhoͤhen und mit paſſenden Geſinnun¬
gen, Bildern, hiſtoriſchen und fabelhaften
Ueberlieferungen zu ſchmuͤcken. Das Rohe
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/129>, abgerufen am 21.11.2024.
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