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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Gegenwart eines großen Heers begrüßen, ihr
sämmtlicher Hof- und Kriegsstaat um sie her,
wohlgehaltene Truppen, ein Scheinkrieg, Fe¬
ste aller Art; Beschäftigung genug für den
äußeren Sinn und überfließender Stoff für
schildernde und beschreibende Poesie.

Freylich hatte dieser Gegenstand einen in¬
neren Mangel; eben daß es nur Prunk und
Schein war, aus dem keine That hervortre¬
ten konnte. Niemand, außer den Ersten, mach¬
te sich bemerkbar, und wenn es ja geschehen
wäre, durfte der Dichter den Einen nicht her¬
vorheben, um Andere nicht zu verletzen. Er
mußte den Hof- und Staatscalender zu Rathe
ziehen, und die Zeichnung der Personen lief
daher ziemlich trocken ab; ja schon die Zeit¬
genossen machten ihm den Vorwurf, er habe
die Pferde besser geschildert als die Menschen.
Sollte dieß aber nicht gerade zu seinem Lobe
gereichen? daß er seine Kunst gleich da be¬
wies, wo sich ein Gegenstand für dieselbe

Gegenwart eines großen Heers begruͤßen, ihr
ſaͤmmtlicher Hof- und Kriegsſtaat um ſie her,
wohlgehaltene Truppen, ein Scheinkrieg, Fe¬
ſte aller Art; Beſchaͤftigung genug fuͤr den
aͤußeren Sinn und uͤberfließender Stoff fuͤr
ſchildernde und beſchreibende Poeſie.

Freylich hatte dieſer Gegenſtand einen in¬
neren Mangel; eben daß es nur Prunk und
Schein war, aus dem keine That hervortre¬
ten konnte. Niemand, außer den Erſten, mach¬
te ſich bemerkbar, und wenn es ja geſchehen
waͤre, durfte der Dichter den Einen nicht her¬
vorheben, um Andere nicht zu verletzen. Er
mußte den Hof- und Staatscalender zu Rathe
ziehen, und die Zeichnung der Perſonen lief
daher ziemlich trocken ab; ja ſchon die Zeit¬
genoſſen machten ihm den Vorwurf, er habe
die Pferde beſſer geſchildert als die Menſchen.
Sollte dieß aber nicht gerade zu ſeinem Lobe
gereichen? daß er ſeine Kunſt gleich da be¬
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[123/0131] Gegenwart eines großen Heers begruͤßen, ihr ſaͤmmtlicher Hof- und Kriegsſtaat um ſie her, wohlgehaltene Truppen, ein Scheinkrieg, Fe¬ ſte aller Art; Beſchaͤftigung genug fuͤr den aͤußeren Sinn und uͤberfließender Stoff fuͤr ſchildernde und beſchreibende Poeſie. Freylich hatte dieſer Gegenſtand einen in¬ neren Mangel; eben daß es nur Prunk und Schein war, aus dem keine That hervortre¬ ten konnte. Niemand, außer den Erſten, mach¬ te ſich bemerkbar, und wenn es ja geſchehen waͤre, durfte der Dichter den Einen nicht her¬ vorheben, um Andere nicht zu verletzen. Er mußte den Hof- und Staatscalender zu Rathe ziehen, und die Zeichnung der Perſonen lief daher ziemlich trocken ab; ja ſchon die Zeit¬ genoſſen machten ihm den Vorwurf, er habe die Pferde beſſer geſchildert als die Menſchen. Sollte dieß aber nicht gerade zu ſeinem Lobe gereichen? daß er ſeine Kunſt gleich da be¬ wies, wo ſich ein Gegenſtand fuͤr dieſelbe

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/131>, abgerufen am 11.05.2024.