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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Sinnes- und Sittenweise dieses Mannes dar¬
aus hervortritt. Er wohnte sehr anständig
in dem ersten Stock des goldenen Bären, wo
ihm der ältere Breitkopf, wegen des großen
Vortheils, den die Gottschedischen Schriften,
Uebersetzungen und sonstigen Assistenzen der
Handlung gebracht, eine lebenslängliche Woh¬
nung zugesagt hatte.

Wir ließen uns melden. Der Bediente
führte uns in ein großes Zimmer, indem er
sagte, der Herr werde gleich kommen. Ob
wir nun eine Gebärde, die er machte, nicht
recht verstanden, wüßte ich nicht zu sagen:
genug wir glaubten, er habe uns in das an¬
stoßende Zimmer gewiesen. Wir traten hin¬
ein zu einer sonderbaren Scene: denn in dem
Augenblick trat Gottsched, der große breite
riesenhafte Mann, in einem gründamastnen,
mit rothem Tafft gefütterten Schlafrock zur
entgegengesetzten Thüre herein; aber sein un¬
geheures Haupt war kahl und ohne Bede¬

II. 9

Sinnes- und Sittenweiſe dieſes Mannes dar¬
aus hervortritt. Er wohnte ſehr anſtaͤndig
in dem erſten Stock des goldenen Baͤren, wo
ihm der aͤltere Breitkopf, wegen des großen
Vortheils, den die Gottſchediſchen Schriften,
Ueberſetzungen und ſonſtigen Aſſiſtenzen der
Handlung gebracht, eine lebenslaͤngliche Woh¬
nung zugeſagt hatte.

Wir ließen uns melden. Der Bediente
fuͤhrte uns in ein großes Zimmer, indem er
ſagte, der Herr werde gleich kommen. Ob
wir nun eine Gebaͤrde, die er machte, nicht
recht verſtanden, wuͤßte ich nicht zu ſagen:
genug wir glaubten, er habe uns in das an¬
ſtoßende Zimmer gewieſen. Wir traten hin¬
ein zu einer ſonderbaren Scene: denn in dem
Augenblick trat Gottſched, der große breite
rieſenhafte Mann, in einem gruͤndamaſtnen,
mit rothem Tafft gefuͤtterten Schlafrock zur
entgegengeſetzten Thuͤre herein; aber ſein un¬
geheures Haupt war kahl und ohne Bede¬

II. 9
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[129/0137] Sinnes- und Sittenweiſe dieſes Mannes dar¬ aus hervortritt. Er wohnte ſehr anſtaͤndig in dem erſten Stock des goldenen Baͤren, wo ihm der aͤltere Breitkopf, wegen des großen Vortheils, den die Gottſchediſchen Schriften, Ueberſetzungen und ſonſtigen Aſſiſtenzen der Handlung gebracht, eine lebenslaͤngliche Woh¬ nung zugeſagt hatte. Wir ließen uns melden. Der Bediente fuͤhrte uns in ein großes Zimmer, indem er ſagte, der Herr werde gleich kommen. Ob wir nun eine Gebaͤrde, die er machte, nicht recht verſtanden, wuͤßte ich nicht zu ſagen: genug wir glaubten, er habe uns in das an¬ ſtoßende Zimmer gewieſen. Wir traten hin¬ ein zu einer ſonderbaren Scene: denn in dem Augenblick trat Gottſched, der große breite rieſenhafte Mann, in einem gruͤndamaſtnen, mit rothem Tafft gefuͤtterten Schlafrock zur entgegengeſetzten Thuͤre herein; aber ſein un¬ geheures Haupt war kahl und ohne Bede¬ II. 9

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/137>, abgerufen am 21.11.2024.