gut gewesen, wenn ich sie nicht wegen des Un¬ terschreibens jener poetischen Liebesepistel, wo¬ durch sie mir denn doch eine förmliche Neigung erklärte, für eine verschmitzte und selbstsüch¬ tige Coquette zu halten berechtigt gewesen wä¬ re. Auch maskirt zur Putzmacherinn kam sie mir nicht mehr so unschuldig vor, und ich kehrte diese ärgerlichen Betrachtungen so lan¬ ge bey mir hin und wieder, bis ich ihr alle liebenswürdigen Eigenschaften sämmtlich abge¬ streift hatte. Dem Verstande nach war ich überzeugt und glaubte sie verwerfen zu müs¬ sen; nur ihr Bild! ihr Bild strafte mich Lü¬ gen, so oft es mir wieder vorschwebte, wel¬ ches freylich noch oft genug geschah.
Indessen war denn doch dieser Pfeil mit seinen Widerhaken aus dem Herzen gerissen, und es fragte sich, wie man der inneren ju¬ gendlichen Heilkraft zu Hülfe käme? Ich er¬ mannte mich wirklich, und das erste was so¬ gleich abgethan wurde, war das Weinen und
gut geweſen, wenn ich ſie nicht wegen des Un¬ terſchreibens jener poetiſchen Liebesepiſtel, wo¬ durch ſie mir denn doch eine foͤrmliche Neigung erklaͤrte, fuͤr eine verſchmitzte und ſelbſtſuͤch¬ tige Coquette zu halten berechtigt geweſen waͤ¬ re. Auch maskirt zur Putzmacherinn kam ſie mir nicht mehr ſo unſchuldig vor, und ich kehrte dieſe aͤrgerlichen Betrachtungen ſo lan¬ ge bey mir hin und wieder, bis ich ihr alle liebenswuͤrdigen Eigenſchaften ſaͤmmtlich abge¬ ſtreift hatte. Dem Verſtande nach war ich uͤberzeugt und glaubte ſie verwerfen zu muͤſ¬ ſen; nur ihr Bild! ihr Bild ſtrafte mich Luͤ¬ gen, ſo oft es mir wieder vorſchwebte, wel¬ ches freylich noch oft genug geſchah.
Indeſſen war denn doch dieſer Pfeil mit ſeinen Widerhaken aus dem Herzen geriſſen, und es fragte ſich, wie man der inneren ju¬ gendlichen Heilkraft zu Huͤlfe kaͤme? Ich er¬ mannte mich wirklich, und das erſte was ſo¬ gleich abgethan wurde, war das Weinen und
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gut geweſen, wenn ich ſie nicht wegen des Un¬
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durch ſie mir denn doch eine foͤrmliche Neigung
erklaͤrte, fuͤr eine verſchmitzte und ſelbſtſuͤch¬
tige Coquette zu halten berechtigt geweſen waͤ¬
re. Auch maskirt zur Putzmacherinn kam
ſie mir nicht mehr ſo unſchuldig vor, und ich
kehrte dieſe aͤrgerlichen Betrachtungen ſo lan¬
ge bey mir hin und wieder, bis ich ihr alle
liebenswuͤrdigen Eigenſchaften ſaͤmmtlich abge¬
ſtreift hatte. Dem Verſtande nach war ich
uͤberzeugt und glaubte ſie verwerfen zu muͤſ¬
ſen; nur ihr Bild! ihr Bild ſtrafte mich Luͤ¬
gen, ſo oft es mir wieder vorſchwebte, wel¬
ches freylich noch oft genug geſchah.
Indeſſen war denn doch dieſer Pfeil mit
ſeinen Widerhaken aus dem Herzen geriſſen,
und es fragte ſich, wie man der inneren ju¬
gendlichen Heilkraft zu Huͤlfe kaͤme? Ich er¬
mannte mich wirklich, und das erſte was ſo¬
gleich abgethan wurde, war das Weinen und
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/17>, abgerufen am 23.11.2024.
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