Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

gerissen denken, und um etwas gern zu wieder¬
holen, muß es ihm nicht fremd geworden, seyn.
Fehlt es dem protestantischen Cultus im Ganzen
an Fülle, so untersuche man das Einzelne, und
man wird finden, der Protestant hat zu wenig
Sacramente, ja er hat nur Eins, bey dem er sich
thätig erweist, das Abendmahl: denn die Tau¬
fe sieht er nur an Anderen vollbringen und es
wird ihm nicht wohl dabey. Die Sacramente
sind das Höchste der Religion, das sinnliche
Symbol einer außerordentlichen göttlichen Gunst
und Gnade. In dem Abendmahle sollen die
irdischen Lippen ein göttliches Wesen verkör¬
pert empfangen und unter der Form irdischer
Nahrung einer himmlischen theilhaftig werden.
Dieser Sinn ist in allen christlichen Kirchen
ebenderselbe, es werde nun das Sacrament mit
mehr oder weniger Ergebung in das Geheim¬
niß, mit mehr oder weniger Accommodation
an das, was verständlich ist, genossen; immer
bleibt es eine heilige, große Handlung, welche
sich in der Wirklichkeit an die Stelle des Mög¬

geriſſen denken, und um etwas gern zu wieder¬
holen, muß es ihm nicht fremd geworden, ſeyn.
Fehlt es dem proteſtantiſchen Cultus im Ganzen
an Fuͤlle, ſo unterſuche man das Einzelne, und
man wird finden, der Proteſtant hat zu wenig
Sacramente, ja er hat nur Eins, bey dem er ſich
thaͤtig erweiſt, das Abendmahl: denn die Tau¬
fe ſieht er nur an Anderen vollbringen und es
wird ihm nicht wohl dabey. Die Sacramente
ſind das Hoͤchſte der Religion, das ſinnliche
Symbol einer außerordentlichen goͤttlichen Gunſt
und Gnade. In dem Abendmahle ſollen die
irdiſchen Lippen ein goͤttliches Weſen verkoͤr¬
pert empfangen und unter der Form irdiſcher
Nahrung einer himmliſchen theilhaftig werden.
Dieſer Sinn iſt in allen chriſtlichen Kirchen
ebenderſelbe, es werde nun das Sacrament mit
mehr oder weniger Ergebung in das Geheim¬
niß, mit mehr oder weniger Accommodation
an das, was verſtaͤndlich iſt, genoſſen; immer
bleibt es eine heilige, große Handlung, welche
ſich in der Wirklichkeit an die Stelle des Moͤg¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0188" n="180"/>
geri&#x017F;&#x017F;en denken, und um etwas gern zu wieder¬<lb/>
holen, muß es ihm nicht fremd geworden, &#x017F;eyn.<lb/>
Fehlt es dem prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Cultus im Ganzen<lb/>
an Fu&#x0364;lle, &#x017F;o unter&#x017F;uche man das Einzelne, und<lb/>
man wird finden, der Prote&#x017F;tant hat zu wenig<lb/>
Sacramente, ja er hat nur Eins, bey dem er &#x017F;ich<lb/>
tha&#x0364;tig erwei&#x017F;t, das Abendmahl: denn die Tau¬<lb/>
fe &#x017F;ieht er nur an Anderen vollbringen und es<lb/>
wird ihm nicht wohl dabey. Die Sacramente<lb/>
&#x017F;ind das Ho&#x0364;ch&#x017F;te der Religion, das &#x017F;innliche<lb/>
Symbol einer außerordentlichen go&#x0364;ttlichen Gun&#x017F;t<lb/>
und Gnade. In dem Abendmahle &#x017F;ollen die<lb/>
irdi&#x017F;chen Lippen ein go&#x0364;ttliches We&#x017F;en verko&#x0364;<lb/>
pert empfangen und unter der Form irdi&#x017F;cher<lb/>
Nahrung einer himmli&#x017F;chen theilhaftig werden.<lb/>
Die&#x017F;er Sinn i&#x017F;t in allen chri&#x017F;tlichen Kirchen<lb/>
ebender&#x017F;elbe, es werde nun das Sacrament mit<lb/>
mehr oder weniger Ergebung in das Geheim¬<lb/>
niß, mit mehr oder weniger Accommodation<lb/>
an das, was ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich i&#x017F;t, geno&#x017F;&#x017F;en; immer<lb/>
bleibt es eine heilige, große Handlung, welche<lb/>
&#x017F;ich in der Wirklichkeit an die Stelle des Mo&#x0364;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0188] geriſſen denken, und um etwas gern zu wieder¬ holen, muß es ihm nicht fremd geworden, ſeyn. Fehlt es dem proteſtantiſchen Cultus im Ganzen an Fuͤlle, ſo unterſuche man das Einzelne, und man wird finden, der Proteſtant hat zu wenig Sacramente, ja er hat nur Eins, bey dem er ſich thaͤtig erweiſt, das Abendmahl: denn die Tau¬ fe ſieht er nur an Anderen vollbringen und es wird ihm nicht wohl dabey. Die Sacramente ſind das Hoͤchſte der Religion, das ſinnliche Symbol einer außerordentlichen goͤttlichen Gunſt und Gnade. In dem Abendmahle ſollen die irdiſchen Lippen ein goͤttliches Weſen verkoͤr¬ pert empfangen und unter der Form irdiſcher Nahrung einer himmliſchen theilhaftig werden. Dieſer Sinn iſt in allen chriſtlichen Kirchen ebenderſelbe, es werde nun das Sacrament mit mehr oder weniger Ergebung in das Geheim¬ niß, mit mehr oder weniger Accommodation an das, was verſtaͤndlich iſt, genoſſen; immer bleibt es eine heilige, große Handlung, welche ſich in der Wirklichkeit an die Stelle des Moͤg¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/188
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/188>, abgerufen am 13.05.2024.