es nicht! Denn wohl in irdischen Verhälnissen gewöhnen wir uns zuletzt auf uns selber zu stehen, und auch da wollen nicht immer Kennt¬ nisse, Verstand und Character hinreichen; in himmlischen Dingen dagegen lernen wir nie aus. Das höhere Gefühl in uns, das sich oft selbst nicht einmal recht zu Hause findet, wird noch überdieß von soviel Aeußerem be¬ drängt, daß unser eignes Vermögen wohl schwerlich alles darreicht, was zu Rath, Trost und Hülfe nöthig wäre. Dazu aber verord¬ net findet sich nun auch jenes Heilmittel für das ganze Leben, und stets harrt ein einsich¬ tiger, frommer Mann, um Irrende zurecht zu weisen und Gequälte zu erledigen.
Und was nun durch das ganze Leben so erprobt worden, soll an der Pforte des To¬ des alle seine Heilkräfte zehenfach thätig er¬ weisen. Nach einer von Jugend auf einge¬ leiteten, zutraulichen Gewohnheit nimmt der Hinfällige jene symbolischen, deutsamen Ver¬
es nicht! Denn wohl in irdiſchen Verhaͤlniſſen gewoͤhnen wir uns zuletzt auf uns ſelber zu ſtehen, und auch da wollen nicht immer Kennt¬ niſſe, Verſtand und Character hinreichen; in himmliſchen Dingen dagegen lernen wir nie aus. Das hoͤhere Gefuͤhl in uns, das ſich oft ſelbſt nicht einmal recht zu Hauſe findet, wird noch uͤberdieß von ſoviel Aeußerem be¬ draͤngt, daß unſer eignes Vermoͤgen wohl ſchwerlich alles darreicht, was zu Rath, Troſt und Huͤlfe noͤthig waͤre. Dazu aber verord¬ net findet ſich nun auch jenes Heilmittel fuͤr das ganze Leben, und ſtets harrt ein einſich¬ tiger, frommer Mann, um Irrende zurecht zu weiſen und Gequaͤlte zu erledigen.
Und was nun durch das ganze Leben ſo erprobt worden, ſoll an der Pforte des To¬ des alle ſeine Heilkraͤfte zehenfach thaͤtig er¬ weiſen. Nach einer von Jugend auf einge¬ leiteten, zutraulichen Gewohnheit nimmt der Hinfaͤllige jene ſymboliſchen, deutſamen Ver¬
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es nicht! Denn wohl in irdiſchen Verhaͤlniſſen
gewoͤhnen wir uns zuletzt auf uns ſelber zu
ſtehen, und auch da wollen nicht immer Kennt¬
niſſe, Verſtand und Character hinreichen; in
himmliſchen Dingen dagegen lernen wir nie
aus. Das hoͤhere Gefuͤhl in uns, das ſich
oft ſelbſt nicht einmal recht zu Hauſe findet,
wird noch uͤberdieß von ſoviel Aeußerem be¬
draͤngt, daß unſer eignes Vermoͤgen wohl
ſchwerlich alles darreicht, was zu Rath, Troſt
und Huͤlfe noͤthig waͤre. Dazu aber verord¬
net findet ſich nun auch jenes Heilmittel fuͤr
das ganze Leben, und ſtets harrt ein einſich¬
tiger, frommer Mann, um Irrende zurecht
zu weiſen und Gequaͤlte zu erledigen.
Und was nun durch das ganze Leben ſo
erprobt worden, ſoll an der Pforte des To¬
des alle ſeine Heilkraͤfte zehenfach thaͤtig er¬
weiſen. Nach einer von Jugend auf einge¬
leiteten, zutraulichen Gewohnheit nimmt der
Hinfaͤllige jene ſymboliſchen, deutſamen Ver¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/192>, abgerufen am 24.11.2024.
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