Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

gegen alles Rohe, und seine Späße waren
durchaus barock, ohne jemals ins Derbe oder
Triviale zu fallen. Gegen seine Landsleute
erlaubte er sich eine frazzenhafte Abneigung,
und schilderte was sie auch vornehmen moch¬
ten, mit lustigen Zügen. Besonders war er
unerschöpflich, einzelne Menschen comisch dar¬
zustellen; wie er denn an dem Aeußeren eines
Jeden etwas auszusetzen fand. So konnte er
sich, wenn wir zusammen am Fenster lagen,
Stunden lang beschäftigen, die Vorübergehen¬
den zu recensiren und, wenn er genugsam an
ihnen getadelt, genau und umständlich anzu¬
zeigen, wie sie sich eigentlich hätten kleiden
sollen, wie sie gehen, wie sie sich betragen
müßten, um als ordentliche Leute zu erschei¬
nen. Dergleichen Vorschläge liefen meisten¬
theils auf etwas Ungehöriges und Abgeschmack¬
tes hinaus, so daß man nicht sowohl lachte
über das, wie der Mensch aussah, sondern
darüber, wie er allenfalls hätte aussehen kön¬
nen, wenn er verrückt genug gewesen wäre,

gegen alles Rohe, und ſeine Spaͤße waren
durchaus barock, ohne jemals ins Derbe oder
Triviale zu fallen. Gegen ſeine Landsleute
erlaubte er ſich eine frazzenhafte Abneigung,
und ſchilderte was ſie auch vornehmen moch¬
ten, mit luſtigen Zuͤgen. Beſonders war er
unerſchoͤpflich, einzelne Menſchen comiſch dar¬
zuſtellen; wie er denn an dem Aeußeren eines
Jeden etwas auszuſetzen fand. So konnte er
ſich, wenn wir zuſammen am Fenſter lagen,
Stunden lang beſchaͤftigen, die Voruͤbergehen¬
den zu recenſiren und, wenn er genugſam an
ihnen getadelt, genau und umſtaͤndlich anzu¬
zeigen, wie ſie ſich eigentlich haͤtten kleiden
ſollen, wie ſie gehen, wie ſie ſich betragen
muͤßten, um als ordentliche Leute zu erſchei¬
nen. Dergleichen Vorſchlaͤge liefen meiſten¬
theils auf etwas Ungehoͤriges und Abgeſchmack¬
tes hinaus, ſo daß man nicht ſowohl lachte
uͤber das, wie der Menſch ausſah, ſondern
daruͤber, wie er allenfalls haͤtte ausſehen koͤn¬
nen, wenn er verruͤckt genug geweſen waͤre,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0212" n="204"/>
gegen alles Rohe, und &#x017F;eine Spa&#x0364;ße waren<lb/>
durchaus barock, ohne jemals ins Derbe oder<lb/>
Triviale zu fallen. Gegen &#x017F;eine Landsleute<lb/>
erlaubte er &#x017F;ich eine frazzenhafte Abneigung,<lb/>
und &#x017F;childerte was &#x017F;ie auch vornehmen moch¬<lb/>
ten, mit lu&#x017F;tigen Zu&#x0364;gen. Be&#x017F;onders war er<lb/>
uner&#x017F;cho&#x0364;pflich, einzelne Men&#x017F;chen comi&#x017F;ch dar¬<lb/>
zu&#x017F;tellen; wie er denn an dem Aeußeren eines<lb/>
Jeden etwas auszu&#x017F;etzen fand. So konnte er<lb/>
&#x017F;ich, wenn wir zu&#x017F;ammen am Fen&#x017F;ter lagen,<lb/>
Stunden lang be&#x017F;cha&#x0364;ftigen, die Voru&#x0364;bergehen¬<lb/>
den zu recen&#x017F;iren und, wenn er genug&#x017F;am an<lb/>
ihnen getadelt, genau und um&#x017F;ta&#x0364;ndlich anzu¬<lb/>
zeigen, wie &#x017F;ie &#x017F;ich eigentlich ha&#x0364;tten kleiden<lb/>
&#x017F;ollen, wie &#x017F;ie gehen, wie &#x017F;ie &#x017F;ich betragen<lb/>
mu&#x0364;ßten, um als ordentliche Leute zu er&#x017F;chei¬<lb/>
nen. Dergleichen Vor&#x017F;chla&#x0364;ge liefen mei&#x017F;ten¬<lb/>
theils auf etwas Ungeho&#x0364;riges und Abge&#x017F;chmack¬<lb/>
tes hinaus, &#x017F;o daß man nicht &#x017F;owohl lachte<lb/>
u&#x0364;ber das, wie der Men&#x017F;ch aus&#x017F;ah, &#x017F;ondern<lb/>
daru&#x0364;ber, wie er allenfalls ha&#x0364;tte aus&#x017F;ehen ko&#x0364;<lb/>
nen, wenn er verru&#x0364;ckt genug gewe&#x017F;en wa&#x0364;re,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0212] gegen alles Rohe, und ſeine Spaͤße waren durchaus barock, ohne jemals ins Derbe oder Triviale zu fallen. Gegen ſeine Landsleute erlaubte er ſich eine frazzenhafte Abneigung, und ſchilderte was ſie auch vornehmen moch¬ ten, mit luſtigen Zuͤgen. Beſonders war er unerſchoͤpflich, einzelne Menſchen comiſch dar¬ zuſtellen; wie er denn an dem Aeußeren eines Jeden etwas auszuſetzen fand. So konnte er ſich, wenn wir zuſammen am Fenſter lagen, Stunden lang beſchaͤftigen, die Voruͤbergehen¬ den zu recenſiren und, wenn er genugſam an ihnen getadelt, genau und umſtaͤndlich anzu¬ zeigen, wie ſie ſich eigentlich haͤtten kleiden ſollen, wie ſie gehen, wie ſie ſich betragen muͤßten, um als ordentliche Leute zu erſchei¬ nen. Dergleichen Vorſchlaͤge liefen meiſten¬ theils auf etwas Ungehoͤriges und Abgeſchmack¬ tes hinaus, ſo daß man nicht ſowohl lachte uͤber das, wie der Menſch ausſah, ſondern daruͤber, wie er allenfalls haͤtte ausſehen koͤn¬ nen, wenn er verruͤckt genug geweſen waͤre,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/212
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/212>, abgerufen am 09.05.2024.