Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Wahren; und wenn die Gegenstände auch
nicht immer bedeutend seyn konnten, so such¬
te ich sie doch immer rein und scharf auszu¬
drücken, um so mehr als mein Freund mir
öfters zu bedenken gab, was das heißen wolle,
einen Vers mit der Rabenfeder und Tusche
auf holländisch Papier schreiben, was dazu
für Zeit, Talent und Anstrengung gehöre, die
man an nichts Leeres und Ueberflüssiges ver¬
schwenden dürfe. Dabey pflegte er gewöhn¬
lich ein fertiges Heft aufzuschlagen und um¬
ständlich auseinander zu setzen, was an die¬
ser oder jener Stelle nicht stehen dürfe, und
uns glücklich zu preisen, daß es wirklich nicht
da stehe. Er sprach hierauf mit großer Ver¬
achtung von der Buchdruckerey, agirte den
Setzer, spottete über dessen Gebärden, über
das eilige Hin- und Wiedergreifen, und lei¬
tete aus diesem Manövre alles Unglück der
Litteratur her. Dagegen erhob er den An¬
stand und die edle Stellung eines Schreiben¬
den, und setzte sich sogleich hin, um sie uns

Wahren; und wenn die Gegenſtaͤnde auch
nicht immer bedeutend ſeyn konnten, ſo ſuch¬
te ich ſie doch immer rein und ſcharf auszu¬
druͤcken, um ſo mehr als mein Freund mir
oͤfters zu bedenken gab, was das heißen wolle,
einen Vers mit der Rabenfeder und Tuſche
auf hollaͤndiſch Papier ſchreiben, was dazu
fuͤr Zeit, Talent und Anſtrengung gehoͤre, die
man an nichts Leeres und Ueberfluͤſſiges ver¬
ſchwenden duͤrfe. Dabey pflegte er gewoͤhn¬
lich ein fertiges Heft aufzuſchlagen und um¬
ſtaͤndlich auseinander zu ſetzen, was an die¬
ſer oder jener Stelle nicht ſtehen duͤrfe, und
uns gluͤcklich zu preiſen, daß es wirklich nicht
da ſtehe. Er ſprach hierauf mit großer Ver¬
achtung von der Buchdruckerey, agirte den
Setzer, ſpottete uͤber deſſen Gebaͤrden, uͤber
das eilige Hin- und Wiedergreifen, und lei¬
tete aus dieſem Manoͤvre alles Ungluͤck der
Litteratur her. Dagegen erhob er den An¬
ſtand und die edle Stellung eines Schreiben¬
den, und ſetzte ſich ſogleich hin, um ſie uns

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0214" n="206"/>
Wahren; und wenn die Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde auch<lb/>
nicht immer bedeutend &#x017F;eyn konnten, &#x017F;o &#x017F;uch¬<lb/>
te ich &#x017F;ie doch immer rein und &#x017F;charf auszu¬<lb/>
dru&#x0364;cken, um &#x017F;o mehr als mein Freund mir<lb/>
o&#x0364;fters zu bedenken gab, was das heißen wolle,<lb/>
einen Vers mit der Rabenfeder und Tu&#x017F;che<lb/>
auf holla&#x0364;ndi&#x017F;ch Papier &#x017F;chreiben, was dazu<lb/>
fu&#x0364;r Zeit, Talent und An&#x017F;trengung geho&#x0364;re, die<lb/>
man an nichts Leeres und Ueberflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;iges ver¬<lb/>
&#x017F;chwenden du&#x0364;rfe. Dabey pflegte er gewo&#x0364;hn¬<lb/>
lich ein fertiges Heft aufzu&#x017F;chlagen und um¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndlich auseinander zu &#x017F;etzen, was an die¬<lb/>
&#x017F;er oder jener Stelle nicht &#x017F;tehen du&#x0364;rfe, und<lb/>
uns glu&#x0364;cklich zu prei&#x017F;en, daß es wirklich nicht<lb/>
da &#x017F;tehe. Er &#x017F;prach hierauf mit großer Ver¬<lb/>
achtung von der Buchdruckerey, agirte den<lb/>
Setzer, &#x017F;pottete u&#x0364;ber de&#x017F;&#x017F;en Geba&#x0364;rden, u&#x0364;ber<lb/>
das eilige Hin- und Wiedergreifen, und lei¬<lb/>
tete aus die&#x017F;em Mano&#x0364;vre alles Unglu&#x0364;ck der<lb/>
Litteratur her. Dagegen erhob er den An¬<lb/>
&#x017F;tand und die edle Stellung eines Schreiben¬<lb/>
den, und &#x017F;etzte &#x017F;ich &#x017F;ogleich hin, um &#x017F;ie uns<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0214] Wahren; und wenn die Gegenſtaͤnde auch nicht immer bedeutend ſeyn konnten, ſo ſuch¬ te ich ſie doch immer rein und ſcharf auszu¬ druͤcken, um ſo mehr als mein Freund mir oͤfters zu bedenken gab, was das heißen wolle, einen Vers mit der Rabenfeder und Tuſche auf hollaͤndiſch Papier ſchreiben, was dazu fuͤr Zeit, Talent und Anſtrengung gehoͤre, die man an nichts Leeres und Ueberfluͤſſiges ver¬ ſchwenden duͤrfe. Dabey pflegte er gewoͤhn¬ lich ein fertiges Heft aufzuſchlagen und um¬ ſtaͤndlich auseinander zu ſetzen, was an die¬ ſer oder jener Stelle nicht ſtehen duͤrfe, und uns gluͤcklich zu preiſen, daß es wirklich nicht da ſtehe. Er ſprach hierauf mit großer Ver¬ achtung von der Buchdruckerey, agirte den Setzer, ſpottete uͤber deſſen Gebaͤrden, uͤber das eilige Hin- und Wiedergreifen, und lei¬ tete aus dieſem Manoͤvre alles Ungluͤck der Litteratur her. Dagegen erhob er den An¬ ſtand und die edle Stellung eines Schreiben¬ den, und ſetzte ſich ſogleich hin, um ſie uns

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/214
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/214>, abgerufen am 21.11.2024.