Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

und Massen berechnete, so nahmen sie sich im
Ganzen gut aus; wie denn alles, was er that
und hervorbrachte, von einer eignen Grazie
begleitet war. Weil er nun dabey eine ein¬
gewurzelte Neigung zum Bedeutenden, Alle¬
gorischen, einen Nebengedanken Erregenden
nicht bezwingen konnte noch wollte; so gaben
seine Werke immer etwas zu sinnen und wur¬
den vollständig durch einen Begriff, da sie es
der Kunst und der Ausführung nach nicht seyn
konnten. Diese Richtung, welche immer ge¬
fährlich ist, führte ihn manchmal bis an die
Grenze des guten Geschmacks, wo nicht gar
darüber hinaus. Seine Absichten suchte er oft
durch die wunderlichsten Einfälle und durch
grillenhafte Scherze zu erreichen; ja seinen
besten Arbeiten ist stets ein humoristischer An¬
strich verliehen. War das Publicum mit sol¬
chen Dingen nicht immer zufrieden, so rächte
er sich durch eine neue, noch wunderlichere
Schnurre. So stellte er später in dem Vor¬
zimmer des großen Concertsaales eine ideale

und Maſſen berechnete, ſo nahmen ſie ſich im
Ganzen gut aus; wie denn alles, was er that
und hervorbrachte, von einer eignen Grazie
begleitet war. Weil er nun dabey eine ein¬
gewurzelte Neigung zum Bedeutenden, Alle¬
goriſchen, einen Nebengedanken Erregenden
nicht bezwingen konnte noch wollte; ſo gaben
ſeine Werke immer etwas zu ſinnen und wur¬
den vollſtaͤndig durch einen Begriff, da ſie es
der Kunſt und der Ausfuͤhrung nach nicht ſeyn
konnten. Dieſe Richtung, welche immer ge¬
faͤhrlich iſt, fuͤhrte ihn manchmal bis an die
Grenze des guten Geſchmacks, wo nicht gar
daruͤber hinaus. Seine Abſichten ſuchte er oft
durch die wunderlichſten Einfaͤlle und durch
grillenhafte Scherze zu erreichen; ja ſeinen
beſten Arbeiten iſt ſtets ein humoriſtiſcher An¬
ſtrich verliehen. War das Publicum mit ſol¬
chen Dingen nicht immer zufrieden, ſo raͤchte
er ſich durch eine neue, noch wunderlichere
Schnurre. So ſtellte er ſpaͤter in dem Vor¬
zimmer des großen Concertſaales eine ideale

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0243" n="235"/>
und Ma&#x017F;&#x017F;en berechnete, &#x017F;o nahmen &#x017F;ie &#x017F;ich im<lb/>
Ganzen gut aus; wie denn alles, was er that<lb/>
und hervorbrachte, von einer eignen Grazie<lb/>
begleitet war. Weil er nun dabey eine ein¬<lb/>
gewurzelte Neigung zum Bedeutenden, Alle¬<lb/>
gori&#x017F;chen, einen Nebengedanken Erregenden<lb/>
nicht bezwingen konnte noch wollte; &#x017F;o gaben<lb/>
&#x017F;eine Werke immer etwas zu &#x017F;innen und wur¬<lb/>
den voll&#x017F;ta&#x0364;ndig durch einen Begriff, da &#x017F;ie es<lb/>
der Kun&#x017F;t und der Ausfu&#x0364;hrung nach nicht &#x017F;eyn<lb/>
konnten. Die&#x017F;e Richtung, welche immer ge¬<lb/>
fa&#x0364;hrlich i&#x017F;t, fu&#x0364;hrte ihn manchmal bis an die<lb/>
Grenze des guten Ge&#x017F;chmacks, wo nicht gar<lb/>
daru&#x0364;ber hinaus. Seine Ab&#x017F;ichten &#x017F;uchte er oft<lb/>
durch die wunderlich&#x017F;ten Einfa&#x0364;lle und durch<lb/>
grillenhafte Scherze zu erreichen; ja &#x017F;einen<lb/>
be&#x017F;ten Arbeiten i&#x017F;t &#x017F;tets ein humori&#x017F;ti&#x017F;cher An¬<lb/>
&#x017F;trich verliehen. War das Publicum mit &#x017F;ol¬<lb/>
chen Dingen nicht immer zufrieden, &#x017F;o ra&#x0364;chte<lb/>
er &#x017F;ich durch eine neue, noch wunderlichere<lb/>
Schnurre. So &#x017F;tellte er <hi rendition="#g">&#x017F;pa&#x0364;ter</hi> in dem Vor¬<lb/>
zimmer des großen Concert&#x017F;aales eine ideale<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0243] und Maſſen berechnete, ſo nahmen ſie ſich im Ganzen gut aus; wie denn alles, was er that und hervorbrachte, von einer eignen Grazie begleitet war. Weil er nun dabey eine ein¬ gewurzelte Neigung zum Bedeutenden, Alle¬ goriſchen, einen Nebengedanken Erregenden nicht bezwingen konnte noch wollte; ſo gaben ſeine Werke immer etwas zu ſinnen und wur¬ den vollſtaͤndig durch einen Begriff, da ſie es der Kunſt und der Ausfuͤhrung nach nicht ſeyn konnten. Dieſe Richtung, welche immer ge¬ faͤhrlich iſt, fuͤhrte ihn manchmal bis an die Grenze des guten Geſchmacks, wo nicht gar daruͤber hinaus. Seine Abſichten ſuchte er oft durch die wunderlichſten Einfaͤlle und durch grillenhafte Scherze zu erreichen; ja ſeinen beſten Arbeiten iſt ſtets ein humoriſtiſcher An¬ ſtrich verliehen. War das Publicum mit ſol¬ chen Dingen nicht immer zufrieden, ſo raͤchte er ſich durch eine neue, noch wunderlichere Schnurre. So ſtellte er ſpaͤter in dem Vor¬ zimmer des großen Concertſaales eine ideale

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/243
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/243>, abgerufen am 21.11.2024.