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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Frauenfigur seiner Art vor, die eine Licht¬
scheere nach einer Kerze hinbewegte, und er
freute sich außerordentlich, wenn er veranlas¬
sen konnte, daß man über die Frage stritt, ob
diese seltsame Muse das Licht zu putzen oder
auszulöschen gedenke? wo er denn allerley necki¬
sche Beygedanken schelmisch hervorblicken ließ.

Doch machte die Erbauung des neuen
Theaters zu meiner Zeit das größte Aufsehen,
in welchem sein Vorhang, da er noch ganz
neu war, gewiß eine außerordentlich liebliche
Wirkung that. Oeser hatte die Musen aus
den Wolken, auf denen sie bey solchen Gele¬
genheiten gewöhnlich schweben, auf die Erde
versetzt. Einen Vorhof zum Tempel des
Ruhms schmückten die Statuen des Sophokles
und Aristophanes, um welche sich alle neuere
Schauspieldichter versammelten. Hier nun
waren die Göttinnen der Künste gleichfalls ge¬
genwärtig und alles würdig und schön. Nun
aber kommt das Wunderliche! Durch die

Frauenfigur ſeiner Art vor, die eine Licht¬
ſcheere nach einer Kerze hinbewegte, und er
freute ſich außerordentlich, wenn er veranlaſ¬
ſen konnte, daß man uͤber die Frage ſtritt, ob
dieſe ſeltſame Muſe das Licht zu putzen oder
auszuloͤſchen gedenke? wo er denn allerley necki¬
ſche Beygedanken ſchelmiſch hervorblicken ließ.

Doch machte die Erbauung des neuen
Theaters zu meiner Zeit das groͤßte Aufſehen,
in welchem ſein Vorhang, da er noch ganz
neu war, gewiß eine außerordentlich liebliche
Wirkung that. Oeſer hatte die Muſen aus
den Wolken, auf denen ſie bey ſolchen Gele¬
genheiten gewoͤhnlich ſchweben, auf die Erde
verſetzt. Einen Vorhof zum Tempel des
Ruhms ſchmuͤckten die Statuen des Sophokles
und Ariſtophanes, um welche ſich alle neuere
Schauſpieldichter verſammelten. Hier nun
waren die Goͤttinnen der Kuͤnſte gleichfalls ge¬
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[236/0244] Frauenfigur ſeiner Art vor, die eine Licht¬ ſcheere nach einer Kerze hinbewegte, und er freute ſich außerordentlich, wenn er veranlaſ¬ ſen konnte, daß man uͤber die Frage ſtritt, ob dieſe ſeltſame Muſe das Licht zu putzen oder auszuloͤſchen gedenke? wo er denn allerley necki¬ ſche Beygedanken ſchelmiſch hervorblicken ließ. Doch machte die Erbauung des neuen Theaters zu meiner Zeit das groͤßte Aufſehen, in welchem ſein Vorhang, da er noch ganz neu war, gewiß eine außerordentlich liebliche Wirkung that. Oeſer hatte die Muſen aus den Wolken, auf denen ſie bey ſolchen Gele¬ genheiten gewoͤhnlich ſchweben, auf die Erde verſetzt. Einen Vorhof zum Tempel des Ruhms ſchmuͤckten die Statuen des Sophokles und Ariſtophanes, um welche ſich alle neuere Schauſpieldichter verſammelten. Hier nun waren die Goͤttinnen der Kuͤnſte gleichfalls ge¬ genwaͤrtig und alles wuͤrdig und ſchoͤn. Nun aber kommt das Wunderliche! Durch die

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/244>, abgerufen am 10.05.2024.