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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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So kehrte ich nun zuletzt, obgleich ungern,
nach Leipzig zurück, und fand meine Freunde,
die solche Abschweifungen von mir nicht ge¬
wohnt waren, in großer Verwunderung, be¬
schäftigt mit allerley Conjecturen, was meine
geheimnißvolle Reise wohl habe bedeuten sol¬
len. Wenn ich ihnen darauf meine Geschichte
ganz ordentlich erzählte, erklärten sie mir sol¬
che für ein Mährchen und suchten scharfsinnig
hinter das Räthsel zu kommen, das ich unter
der Schusterherberge zu verhüllen muthwillig
genug sey.

Hätten sie mir aber ins Herz sehen kön¬
nen, so würden sie keinen Muthwillen darin
entdeckt haben: denn die Wahrheit jenes al¬
ten Worts, Zuwachs an Kenntniß ist Zu¬
wachs an Unruhe, hatte mich mit ganzer Ge¬
walt getroffen, und jemehr ich mich anstreng¬
te, dasjenige was ich gesehn, zu ordnen und
mir zuzueignen, je weniger gelang es mir;
ich mußte mir zuletzt ein stilles Nachwirken

So kehrte ich nun zuletzt, obgleich ungern,
nach Leipzig zuruͤck, und fand meine Freunde,
die ſolche Abſchweifungen von mir nicht ge¬
wohnt waren, in großer Verwunderung, be¬
ſchaͤftigt mit allerley Conjecturen, was meine
geheimnißvolle Reiſe wohl habe bedeuten ſol¬
len. Wenn ich ihnen darauf meine Geſchichte
ganz ordentlich erzaͤhlte, erklaͤrten ſie mir ſol¬
che fuͤr ein Maͤhrchen und ſuchten ſcharfſinnig
hinter das Raͤthſel zu kommen, das ich unter
der Schuſterherberge zu verhuͤllen muthwillig
genug ſey.

Haͤtten ſie mir aber ins Herz ſehen koͤn¬
nen, ſo wuͤrden ſie keinen Muthwillen darin
entdeckt haben: denn die Wahrheit jenes al¬
ten Worts, Zuwachs an Kenntniß iſt Zu¬
wachs an Unruhe, hatte mich mit ganzer Ge¬
walt getroffen, und jemehr ich mich anſtreng¬
te, dasjenige was ich geſehn, zu ordnen und
mir zuzueignen, je weniger gelang es mir;
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[268/0276] So kehrte ich nun zuletzt, obgleich ungern, nach Leipzig zuruͤck, und fand meine Freunde, die ſolche Abſchweifungen von mir nicht ge¬ wohnt waren, in großer Verwunderung, be¬ ſchaͤftigt mit allerley Conjecturen, was meine geheimnißvolle Reiſe wohl habe bedeuten ſol¬ len. Wenn ich ihnen darauf meine Geſchichte ganz ordentlich erzaͤhlte, erklaͤrten ſie mir ſol¬ che fuͤr ein Maͤhrchen und ſuchten ſcharfſinnig hinter das Raͤthſel zu kommen, das ich unter der Schuſterherberge zu verhuͤllen muthwillig genug ſey. Haͤtten ſie mir aber ins Herz ſehen koͤn¬ nen, ſo wuͤrden ſie keinen Muthwillen darin entdeckt haben: denn die Wahrheit jenes al¬ ten Worts, Zuwachs an Kenntniß iſt Zu¬ wachs an Unruhe, hatte mich mit ganzer Ge¬ walt getroffen, und jemehr ich mich anſtreng¬ te, dasjenige was ich geſehn, zu ordnen und mir zuzueignen, je weniger gelang es mir; ich mußte mir zuletzt ein ſtilles Nachwirken

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/276>, abgerufen am 21.11.2024.