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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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faßte sie nur im Ganzen, in sofern sie Wir¬
kung thaten; und so wenig mich die Natur
zu einem descriptiven Dichter bestimmt hatte,
eben so wenig wollte sie mir die Fähigkeit ei¬
nes Zeichners fürs Einzelne verleihen. Da
jedoch nur dieß allein die Art war, die mir
übrig blieb, mich zu äußern, so hing ich mit
eben so viel Hartnäckigkeit, ja mit Trübsinn
daran, daß ich immer eifriger meine Arbeiten
fortsetzte, je weniger ich etwas dabey heraus¬
kommen sah.

Leugnen will ich jedoch nicht, daß sich
eine gewisse Schelmerey mit einmischte: denn
ich hatte bemerkt, daß wenn ich einen halb¬
beschatteten alten Stamm, an dessen mächtig
gekrümmte Wurzeln sich wohlbeleuchtete Farren¬
kräuter anschmiegten, von blinkenden Gras¬
lichtern begleitet, mir zu einem qualreichen
Studium ausgesucht hatte, mein Freund, der
aus Erfahrung wußte, daß unter einer Stun¬
de da nicht loszukommen sey, sich gewöhnlich

faßte ſie nur im Ganzen, in ſofern ſie Wir¬
kung thaten; und ſo wenig mich die Natur
zu einem deſcriptiven Dichter beſtimmt hatte,
eben ſo wenig wollte ſie mir die Faͤhigkeit ei¬
nes Zeichners fuͤrs Einzelne verleihen. Da
jedoch nur dieß allein die Art war, die mir
uͤbrig blieb, mich zu aͤußern, ſo hing ich mit
eben ſo viel Hartnaͤckigkeit, ja mit Truͤbſinn
daran, daß ich immer eifriger meine Arbeiten
fortſetzte, je weniger ich etwas dabey heraus¬
kommen ſah.

Leugnen will ich jedoch nicht, daß ſich
eine gewiſſe Schelmerey mit einmiſchte: denn
ich hatte bemerkt, daß wenn ich einen halb¬
beſchatteten alten Stamm, an deſſen maͤchtig
gekruͤmmte Wurzeln ſich wohlbeleuchtete Farren¬
kraͤuter anſchmiegten, von blinkenden Gras¬
lichtern begleitet, mir zu einem qualreichen
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[21/0029] faßte ſie nur im Ganzen, in ſofern ſie Wir¬ kung thaten; und ſo wenig mich die Natur zu einem deſcriptiven Dichter beſtimmt hatte, eben ſo wenig wollte ſie mir die Faͤhigkeit ei¬ nes Zeichners fuͤrs Einzelne verleihen. Da jedoch nur dieß allein die Art war, die mir uͤbrig blieb, mich zu aͤußern, ſo hing ich mit eben ſo viel Hartnaͤckigkeit, ja mit Truͤbſinn daran, daß ich immer eifriger meine Arbeiten fortſetzte, je weniger ich etwas dabey heraus¬ kommen ſah. Leugnen will ich jedoch nicht, daß ſich eine gewiſſe Schelmerey mit einmiſchte: denn ich hatte bemerkt, daß wenn ich einen halb¬ beſchatteten alten Stamm, an deſſen maͤchtig gekruͤmmte Wurzeln ſich wohlbeleuchtete Farren¬ kraͤuter anſchmiegten, von blinkenden Gras¬ lichtern begleitet, mir zu einem qualreichen Studium ausgeſucht hatte, mein Freund, der aus Erfahrung wußte, daß unter einer Stun¬ de da nicht loszukommen ſey, ſich gewoͤhnlich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/29>, abgerufen am 23.11.2024.