ernster Vater, der, weil er innerlich ein sehr zartes Gemüth hegte, äußerlich mit unglaub¬ licher Consequenz eine eherne Strenge vorbil¬ dete, damit er zu dem Zwecke gelangen mö¬ ge, seinen Kindern die beste Erziehung zu ge¬ ben, sein wohlgegründetes Haus zu erbauen, zu ordnen und zu erhalten; dagegen eine Mut¬ ter fast noch Kind, welche erst mit und in ih¬ ren beyden Aeltesten zum Bewußtseyn heran¬ wuchs; diese drey, wie sie die Welt mit ge¬ sundem Blicke gewahr wurden, lebensfähig und nach gegenwärtigem Genuß verlangend. Ein solcher in der Familie schwebender Wider¬ streit vermehrte sich mit den Jahren. Der Vater verfolgte seine Absicht unerschüttert und ununterbrochen; Mutter und Kinder konnten ihre Gefühle, ihre Anforderungen, ihre Wün¬ sche nicht aufgeben.
Unter diesen Umständen war es natürlich, daß Bruder und Schwester sich fest an ein¬ ander schlossen und sich zur Mutter hielten,
ernſter Vater, der, weil er innerlich ein ſehr zartes Gemuͤth hegte, aͤußerlich mit unglaub¬ licher Conſequenz eine eherne Strenge vorbil¬ dete, damit er zu dem Zwecke gelangen moͤ¬ ge, ſeinen Kindern die beſte Erziehung zu ge¬ ben, ſein wohlgegruͤndetes Haus zu erbauen, zu ordnen und zu erhalten; dagegen eine Mut¬ ter faſt noch Kind, welche erſt mit und in ih¬ ren beyden Aelteſten zum Bewußtſeyn heran¬ wuchs; dieſe drey, wie ſie die Welt mit ge¬ ſundem Blicke gewahr wurden, lebensfaͤhig und nach gegenwaͤrtigem Genuß verlangend. Ein ſolcher in der Familie ſchwebender Wider¬ ſtreit vermehrte ſich mit den Jahren. Der Vater verfolgte ſeine Abſicht unerſchuͤttert und ununterbrochen; Mutter und Kinder konnten ihre Gefuͤhle, ihre Anforderungen, ihre Wuͤn¬ ſche nicht aufgeben.
Unter dieſen Umſtaͤnden war es natuͤrlich, daß Bruder und Schweſter ſich feſt an ein¬ ander ſchloſſen und ſich zur Mutter hielten,
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ernſter Vater, der, weil er innerlich ein ſehr
zartes Gemuͤth hegte, aͤußerlich mit unglaub¬
licher Conſequenz eine eherne Strenge vorbil¬
dete, damit er zu dem Zwecke gelangen moͤ¬
ge, ſeinen Kindern die beſte Erziehung zu ge¬
ben, ſein wohlgegruͤndetes Haus zu erbauen,
zu ordnen und zu erhalten; dagegen eine Mut¬
ter faſt noch Kind, welche erſt mit und in ih¬
ren beyden Aelteſten zum Bewußtſeyn heran¬
wuchs; dieſe drey, wie ſie die Welt mit ge¬
ſundem Blicke gewahr wurden, lebensfaͤhig
und nach gegenwaͤrtigem Genuß verlangend.
Ein ſolcher in der Familie ſchwebender Wider¬
ſtreit vermehrte ſich mit den Jahren. Der
Vater verfolgte ſeine Abſicht unerſchuͤttert und
ununterbrochen; Mutter und Kinder konnten
ihre Gefuͤhle, ihre Anforderungen, ihre Wuͤn¬
ſche nicht aufgeben.
Unter dieſen Umſtaͤnden war es natuͤrlich,
daß Bruder und Schweſter ſich feſt an ein¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/36>, abgerufen am 23.11.2024.
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