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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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ernster Vater, der, weil er innerlich ein sehr
zartes Gemüth hegte, äußerlich mit unglaub¬
licher Consequenz eine eherne Strenge vorbil¬
dete, damit er zu dem Zwecke gelangen mö¬
ge, seinen Kindern die beste Erziehung zu ge¬
ben, sein wohlgegründetes Haus zu erbauen,
zu ordnen und zu erhalten; dagegen eine Mut¬
ter fast noch Kind, welche erst mit und in ih¬
ren beyden Aeltesten zum Bewußtseyn heran¬
wuchs; diese drey, wie sie die Welt mit ge¬
sundem Blicke gewahr wurden, lebensfähig
und nach gegenwärtigem Genuß verlangend.
Ein solcher in der Familie schwebender Wider¬
streit vermehrte sich mit den Jahren. Der
Vater verfolgte seine Absicht unerschüttert und
ununterbrochen; Mutter und Kinder konnten
ihre Gefühle, ihre Anforderungen, ihre Wün¬
sche nicht aufgeben.

Unter diesen Umständen war es natürlich,
daß Bruder und Schwester sich fest an ein¬
ander schlossen und sich zur Mutter hielten,

ernſter Vater, der, weil er innerlich ein ſehr
zartes Gemuͤth hegte, aͤußerlich mit unglaub¬
licher Conſequenz eine eherne Strenge vorbil¬
dete, damit er zu dem Zwecke gelangen moͤ¬
ge, ſeinen Kindern die beſte Erziehung zu ge¬
ben, ſein wohlgegruͤndetes Haus zu erbauen,
zu ordnen und zu erhalten; dagegen eine Mut¬
ter faſt noch Kind, welche erſt mit und in ih¬
ren beyden Aelteſten zum Bewußtſeyn heran¬
wuchs; dieſe drey, wie ſie die Welt mit ge¬
ſundem Blicke gewahr wurden, lebensfaͤhig
und nach gegenwaͤrtigem Genuß verlangend.
Ein ſolcher in der Familie ſchwebender Wider¬
ſtreit vermehrte ſich mit den Jahren. Der
Vater verfolgte ſeine Abſicht unerſchuͤttert und
ununterbrochen; Mutter und Kinder konnten
ihre Gefuͤhle, ihre Anforderungen, ihre Wuͤn¬
ſche nicht aufgeben.

Unter dieſen Umſtaͤnden war es natuͤrlich,
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[28/0036] ernſter Vater, der, weil er innerlich ein ſehr zartes Gemuͤth hegte, aͤußerlich mit unglaub¬ licher Conſequenz eine eherne Strenge vorbil¬ dete, damit er zu dem Zwecke gelangen moͤ¬ ge, ſeinen Kindern die beſte Erziehung zu ge¬ ben, ſein wohlgegruͤndetes Haus zu erbauen, zu ordnen und zu erhalten; dagegen eine Mut¬ ter faſt noch Kind, welche erſt mit und in ih¬ ren beyden Aelteſten zum Bewußtſeyn heran¬ wuchs; dieſe drey, wie ſie die Welt mit ge¬ ſundem Blicke gewahr wurden, lebensfaͤhig und nach gegenwaͤrtigem Genuß verlangend. Ein ſolcher in der Familie ſchwebender Wider¬ ſtreit vermehrte ſich mit den Jahren. Der Vater verfolgte ſeine Abſicht unerſchuͤttert und ununterbrochen; Mutter und Kinder konnten ihre Gefuͤhle, ihre Anforderungen, ihre Wuͤn¬ ſche nicht aufgeben. Unter dieſen Umſtaͤnden war es natuͤrlich, daß Bruder und Schweſter ſich feſt an ein¬ ander ſchloſſen und ſich zur Mutter hielten,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/36>, abgerufen am 28.04.2024.