wußte vielmehr vielleicht deutlicher als billig, daß sie hinter ihren Gespielinnen an äußerer Schönheit sehr weit zurückstehe, ohne zu ih¬ rem Troste zu fühlen, daß sie ihnen an inne¬ ren Vorzügen unendlich überlegen sey.
Kann ein Frauenzimmer für den Mangel von Schönheit entschädigt werden, so war sie es reichlich durch das unbegrenzte Vertrauen, die Achtung und Liebe, welche sämmtliche Freundinnen zu ihr trugen; sie mochten älter oder jünger seyn, alle hegten die gleichen Em¬ pfindungen. Eine sehr angenehme Gesellschaft hatte sich um sie versammelt, es fehlte nicht an jungen Männern, die sich einzuschleichen wußten, fast jedes Mädchen fand einen Freund; nur sie war ohne Hälfte geblieben. Freylich, wenn ihr Aeußeres einigermaßen abstoßend war, so wirkte das Innere, das hindurch¬ blickte, mehr ablehnend, als anziehend: denn die Gegenwart einer jeden Würde weist den andern auf sich selbst zurück. Sie fühlte es
wußte vielmehr vielleicht deutlicher als billig, daß ſie hinter ihren Geſpielinnen an aͤußerer Schoͤnheit ſehr weit zuruͤckſtehe, ohne zu ih¬ rem Troſte zu fuͤhlen, daß ſie ihnen an inne¬ ren Vorzuͤgen unendlich uͤberlegen ſey.
Kann ein Frauenzimmer fuͤr den Mangel von Schoͤnheit entſchaͤdigt werden, ſo war ſie es reichlich durch das unbegrenzte Vertrauen, die Achtung und Liebe, welche ſaͤmmtliche Freundinnen zu ihr trugen; ſie mochten aͤlter oder juͤnger ſeyn, alle hegten die gleichen Em¬ pfindungen. Eine ſehr angenehme Geſellſchaft hatte ſich um ſie verſammelt, es fehlte nicht an jungen Maͤnnern, die ſich einzuſchleichen wußten, faſt jedes Maͤdchen fand einen Freund; nur ſie war ohne Haͤlfte geblieben. Freylich, wenn ihr Aeußeres einigermaßen abſtoßend war, ſo wirkte das Innere, das hindurch¬ blickte, mehr ablehnend, als anziehend: denn die Gegenwart einer jeden Wuͤrde weiſt den andern auf ſich ſelbſt zuruͤck. Sie fuͤhlte es
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wußte vielmehr vielleicht deutlicher als billig,
daß ſie hinter ihren Geſpielinnen an aͤußerer
Schoͤnheit ſehr weit zuruͤckſtehe, ohne zu ih¬
rem Troſte zu fuͤhlen, daß ſie ihnen an inne¬
ren Vorzuͤgen unendlich uͤberlegen ſey.
Kann ein Frauenzimmer fuͤr den Mangel
von Schoͤnheit entſchaͤdigt werden, ſo war ſie
es reichlich durch das unbegrenzte Vertrauen,
die Achtung und Liebe, welche ſaͤmmtliche
Freundinnen zu ihr trugen; ſie mochten aͤlter
oder juͤnger ſeyn, alle hegten die gleichen Em¬
pfindungen. Eine ſehr angenehme Geſellſchaft
hatte ſich um ſie verſammelt, es fehlte nicht
an jungen Maͤnnern, die ſich einzuſchleichen
wußten, faſt jedes Maͤdchen fand einen Freund;
nur ſie war ohne Haͤlfte geblieben. Freylich,
wenn ihr Aeußeres einigermaßen abſtoßend
war, ſo wirkte das Innere, das hindurch¬
blickte, mehr ablehnend, als anziehend: denn
die Gegenwart einer jeden Wuͤrde weiſt den
andern auf ſich ſelbſt zuruͤck. Sie fuͤhlte es
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/42>, abgerufen am 03.12.2024.
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