Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Hausmittel, die sie zu sich nimmt und aus¬
ruht; und so legen sich nach und nach die
tobenden Wellen. Sie ist gar zu gut und
liebenswürdig bey so einer eingebildeten Krank¬
heit, und da sie sich im Grunde recht wohl
befindet und nur von Leidenschaft angegriffen
ist, so sinnt sie sich allerhand romanenhafte
Todesarten aus, vor denen sie sich auf eine
angenehme Weise fürchtet, wie Kinder, denen
man von Gespenstern erzählt. So hat sie
mir gestern Abend noch mit großer Heftigkeit
erklärt, daß sie dießmal gewiß sterben würde,
und man sollte den undankbaren falschen
Freund, der ihr erst so schön gethan und sie
nun so übel behandle, nur dann wieder zu
ihr führen, wenn sie wirklich ganz nahe am
Tode sey: sie wolle ihm recht bittre Vorwür¬
fe machen und auch sogleich den Geist auf¬
geben. -- Ich weiß mich nicht schuldig! rief
ich aus, daß ich irgend eine Neigung zu ihr
geäußert. Ich kenne Jemand, der mir dieses
Zeugniß am besten ertheilen kann. Emilie

Hausmittel, die ſie zu ſich nimmt und aus¬
ruht; und ſo legen ſich nach und nach die
tobenden Wellen. Sie iſt gar zu gut und
liebenswuͤrdig bey ſo einer eingebildeten Krank¬
heit, und da ſie ſich im Grunde recht wohl
befindet und nur von Leidenſchaft angegriffen
iſt, ſo ſinnt ſie ſich allerhand romanenhafte
Todesarten aus, vor denen ſie ſich auf eine
angenehme Weiſe fuͤrchtet, wie Kinder, denen
man von Geſpenſtern erzaͤhlt. So hat ſie
mir geſtern Abend noch mit großer Heftigkeit
erklaͤrt, daß ſie dießmal gewiß ſterben wuͤrde,
und man ſollte den undankbaren falſchen
Freund, der ihr erſt ſo ſchoͤn gethan und ſie
nun ſo uͤbel behandle, nur dann wieder zu
ihr fuͤhren, wenn ſie wirklich ganz nahe am
Tode ſey: ſie wolle ihm recht bittre Vorwuͤr¬
fe machen und auch ſogleich den Geiſt auf¬
geben. — Ich weiß mich nicht ſchuldig! rief
ich aus, daß ich irgend eine Neigung zu ihr
geaͤußert. Ich kenne Jemand, der mir dieſes
Zeugniß am beſten ertheilen kann. Emilie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0445" n="437"/>
Hausmittel, die &#x017F;ie zu &#x017F;ich nimmt und aus¬<lb/>
ruht; und &#x017F;o legen &#x017F;ich nach und nach die<lb/>
tobenden Wellen. Sie i&#x017F;t gar zu gut und<lb/>
liebenswu&#x0364;rdig bey &#x017F;o einer eingebildeten Krank¬<lb/>
heit, und da &#x017F;ie &#x017F;ich im Grunde recht wohl<lb/>
befindet und nur von Leiden&#x017F;chaft angegriffen<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;innt &#x017F;ie &#x017F;ich allerhand romanenhafte<lb/>
Todesarten aus, vor denen &#x017F;ie &#x017F;ich auf eine<lb/>
angenehme Wei&#x017F;e fu&#x0364;rchtet, wie Kinder, denen<lb/>
man von Ge&#x017F;pen&#x017F;tern erza&#x0364;hlt. So hat &#x017F;ie<lb/>
mir ge&#x017F;tern Abend noch mit großer Heftigkeit<lb/>
erkla&#x0364;rt, daß &#x017F;ie dießmal gewiß &#x017F;terben wu&#x0364;rde,<lb/>
und man &#x017F;ollte den undankbaren fal&#x017F;chen<lb/>
Freund, der ihr er&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n gethan und &#x017F;ie<lb/>
nun &#x017F;o u&#x0364;bel behandle, nur dann wieder zu<lb/>
ihr fu&#x0364;hren, wenn &#x017F;ie wirklich ganz nahe am<lb/>
Tode &#x017F;ey: &#x017F;ie wolle ihm recht bittre Vorwu&#x0364;<lb/>
fe machen und auch &#x017F;ogleich den Gei&#x017F;t auf¬<lb/>
geben. &#x2014; Ich weiß mich nicht &#x017F;chuldig! rief<lb/>
ich aus, daß ich irgend eine Neigung zu ihr<lb/>
gea&#x0364;ußert. Ich kenne Jemand, der mir die&#x017F;es<lb/>
Zeugniß am be&#x017F;ten ertheilen kann. Emilie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[437/0445] Hausmittel, die ſie zu ſich nimmt und aus¬ ruht; und ſo legen ſich nach und nach die tobenden Wellen. Sie iſt gar zu gut und liebenswuͤrdig bey ſo einer eingebildeten Krank¬ heit, und da ſie ſich im Grunde recht wohl befindet und nur von Leidenſchaft angegriffen iſt, ſo ſinnt ſie ſich allerhand romanenhafte Todesarten aus, vor denen ſie ſich auf eine angenehme Weiſe fuͤrchtet, wie Kinder, denen man von Geſpenſtern erzaͤhlt. So hat ſie mir geſtern Abend noch mit großer Heftigkeit erklaͤrt, daß ſie dießmal gewiß ſterben wuͤrde, und man ſollte den undankbaren falſchen Freund, der ihr erſt ſo ſchoͤn gethan und ſie nun ſo uͤbel behandle, nur dann wieder zu ihr fuͤhren, wenn ſie wirklich ganz nahe am Tode ſey: ſie wolle ihm recht bittre Vorwuͤr¬ fe machen und auch ſogleich den Geiſt auf¬ geben. — Ich weiß mich nicht ſchuldig! rief ich aus, daß ich irgend eine Neigung zu ihr geaͤußert. Ich kenne Jemand, der mir dieſes Zeugniß am beſten ertheilen kann. Emilie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/445
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/445>, abgerufen am 23.11.2024.