sen, erborgte ich eine Summe Geldes für ihn, die er auf einen bestimmten Termin zu erstatten versprach. Die Zeit verstrich, ohne daß das Geld ankam. Mein Gläubiger mahn¬ te mich zwar nicht, aber ich war doch meh¬ rere Wochen in Verlegenheit. Endlich kam Brief und Geld, und auch hier verläugnete er sich nicht: denn anstatt eines Dankes, ei¬ ner Entschuldigung, enthielt sein Schreiben lauter spöttliche Dinge in Knittelversen, die einen Andern irre, oder gar abwendig ge¬ macht hätten; mich aber rührte das nicht wei¬ ter, da ich von seinem Werth einen so gro¬ ßen und mächtigen Begriff gefaßt hatte, der alles Widerwärtige verschlang, was ihm hät¬ te schaden können.
Man soll jedoch von eignen und fremden Fehlern niemals, am wenigsten öffentlich reden, wenn man nicht dadurch etwas Nützliches zu bewirken denkt; deshalb will ich hier gewisse zubringende Bemerkungen einschalten.
ſen, erborgte ich eine Summe Geldes fuͤr ihn, die er auf einen beſtimmten Termin zu erſtatten verſprach. Die Zeit verſtrich, ohne daß das Geld ankam. Mein Glaͤubiger mahn¬ te mich zwar nicht, aber ich war doch meh¬ rere Wochen in Verlegenheit. Endlich kam Brief und Geld, und auch hier verlaͤugnete er ſich nicht: denn anſtatt eines Dankes, ei¬ ner Entſchuldigung, enthielt ſein Schreiben lauter ſpoͤttliche Dinge in Knittelverſen, die einen Andern irre, oder gar abwendig ge¬ macht haͤtten; mich aber ruͤhrte das nicht wei¬ ter, da ich von ſeinem Werth einen ſo gro¬ ßen und maͤchtigen Begriff gefaßt hatte, der alles Widerwaͤrtige verſchlang, was ihm haͤt¬ te ſchaden koͤnnen.
Man ſoll jedoch von eignen und fremden Fehlern niemals, am wenigſten oͤffentlich reden, wenn man nicht dadurch etwas Nuͤtzliches zu bewirken denkt; deshalb will ich hier gewiſſe zubringende Bemerkungen einſchalten.
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ſen, erborgte ich eine Summe Geldes fuͤr
ihn, die er auf einen beſtimmten Termin zu
erſtatten verſprach. Die Zeit verſtrich, ohne
daß das Geld ankam. Mein Glaͤubiger mahn¬
te mich zwar nicht, aber ich war doch meh¬
rere Wochen in Verlegenheit. Endlich kam
Brief und Geld, und auch hier verlaͤugnete
er ſich nicht: denn anſtatt eines Dankes, ei¬
ner Entſchuldigung, enthielt ſein Schreiben
lauter ſpoͤttliche Dinge in Knittelverſen, die
einen Andern irre, oder gar abwendig ge¬
macht haͤtten; mich aber ruͤhrte das nicht wei¬
ter, da ich von ſeinem Werth einen ſo gro¬
ßen und maͤchtigen Begriff gefaßt hatte, der
alles Widerwaͤrtige verſchlang, was ihm haͤt¬
te ſchaden koͤnnen.
Man ſoll jedoch von eignen und fremden
Fehlern niemals, am wenigſten oͤffentlich reden,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/487>, abgerufen am 22.11.2024.
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