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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Ich erinnere mich nicht leicht einer ange¬
nehmern Empfindung. Hier an dieser Schwel¬
le wieder zu sitzen, über die ich vor kurzem
in Verzweiflung hinausgestolpert war; sie schon
wieder gesehn, ihre liebe Stimme schon wie¬
der gehört zu haben, kurz nachdem mein Un¬
muth mir eine lange Trennung vorgespiegelt
hatte; jeden Augenblick sie selbst und eine
Entdeckung zu erwarten, vor der mir das
Herz klopfte, und doch, in diesem zweydeu¬
tigen Falle, eine Entdeckung ohne Beschä¬
mung; dann, gleich zum Eintritt einen so
lustigen Streich, als keiner derjenigen, die
gestern belacht worden waren! Liebe und Noth
sind doch die besten Meister, hier wirkten sie
zusammen und der Lehrling war ihrer nicht
unwerth geblieben.

Die Magd kam aber aus der Scheune
getreten. -- Nun! sind die Kuchen gerathen?
rief sie mich an, wie gehts der Schwester?

Ich erinnere mich nicht leicht einer ange¬
nehmern Empfindung. Hier an dieſer Schwel¬
le wieder zu ſitzen, uͤber die ich vor kurzem
in Verzweiflung hinausgeſtolpert war; ſie ſchon
wieder geſehn, ihre liebe Stimme ſchon wie¬
der gehoͤrt zu haben, kurz nachdem mein Un¬
muth mir eine lange Trennung vorgeſpiegelt
hatte; jeden Augenblick ſie ſelbſt und eine
Entdeckung zu erwarten, vor der mir das
Herz klopfte, und doch, in dieſem zweydeu¬
tigen Falle, eine Entdeckung ohne Beſchaͤ¬
mung; dann, gleich zum Eintritt einen ſo
luſtigen Streich, als keiner derjenigen, die
geſtern belacht worden waren! Liebe und Noth
ſind doch die beſten Meiſter, hier wirkten ſie
zuſammen und der Lehrling war ihrer nicht
unwerth geblieben.

Die Magd kam aber aus der Scheune
getreten. — Nun! ſind die Kuchen gerathen?
rief ſie mich an, wie gehts der Schweſter?

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[554/0562] Ich erinnere mich nicht leicht einer ange¬ nehmern Empfindung. Hier an dieſer Schwel¬ le wieder zu ſitzen, uͤber die ich vor kurzem in Verzweiflung hinausgeſtolpert war; ſie ſchon wieder geſehn, ihre liebe Stimme ſchon wie¬ der gehoͤrt zu haben, kurz nachdem mein Un¬ muth mir eine lange Trennung vorgeſpiegelt hatte; jeden Augenblick ſie ſelbſt und eine Entdeckung zu erwarten, vor der mir das Herz klopfte, und doch, in dieſem zweydeu¬ tigen Falle, eine Entdeckung ohne Beſchaͤ¬ mung; dann, gleich zum Eintritt einen ſo luſtigen Streich, als keiner derjenigen, die geſtern belacht worden waren! Liebe und Noth ſind doch die beſten Meiſter, hier wirkten ſie zuſammen und der Lehrling war ihrer nicht unwerth geblieben. Die Magd kam aber aus der Scheune getreten. — Nun! ſind die Kuchen gerathen? rief ſie mich an, wie gehts der Schweſter?

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/562>, abgerufen am 21.11.2024.