Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

sagte sie, indem sie mich in die Stube führ¬
te, aber er hat eine Vogelhecke darunter, die
möchten hervorfliegen und einen verteufelten
Spuck machen: denn es sind lauter lose Vö¬
gel. Der Vater ließ sich den Scherz gefal¬
len, ohne daß er recht wußte was es hei¬
ßen sollte. In dem Augenblick nahm sie mir
den Hut ab, machte einen Scharrfuß und
verlangte von mir das Gleiche. Der Alte
sah mich an, erkannte mich, kam aber nicht
aus seiner priesterlichen Fassung. Ey ey!
Herr Candidat! rief er aus, indem er einen
drohenden Finger aufhob: Sie haben ge¬
schwind umgesattelt, und ich verliere über
Nacht einen Gehülfen, der mir erst gestern
so treulich zusagte, manchmal die Wochenkan¬
zel für mich zu besteigen. Darauf lachte er
von Herzen, hieß mich willkommen, und
wir setzten uns zu Tische. Moses kam um
vieles später; denn er hatte sich, als der
verzogene Jüngste, angewöhnt, die Mittags¬

ſagte ſie, indem ſie mich in die Stube fuͤhr¬
te, aber er hat eine Vogelhecke darunter, die
moͤchten hervorfliegen und einen verteufelten
Spuck machen: denn es ſind lauter loſe Voͤ¬
gel. Der Vater ließ ſich den Scherz gefal¬
len, ohne daß er recht wußte was es hei¬
ßen ſollte. In dem Augenblick nahm ſie mir
den Hut ab, machte einen Scharrfuß und
verlangte von mir das Gleiche. Der Alte
ſah mich an, erkannte mich, kam aber nicht
aus ſeiner prieſterlichen Faſſung. Ey ey!
Herr Candidat! rief er aus, indem er einen
drohenden Finger aufhob: Sie haben ge¬
ſchwind umgeſattelt, und ich verliere uͤber
Nacht einen Gehuͤlfen, der mir erſt geſtern
ſo treulich zuſagte, manchmal die Wochenkan¬
zel fuͤr mich zu beſteigen. Darauf lachte er
von Herzen, hieß mich willkommen, und
wir ſetzten uns zu Tiſche. Moſes kam um
vieles ſpaͤter; denn er hatte ſich, als der
verzogene Juͤngſte, angewoͤhnt, die Mittags¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0574" n="566"/>
&#x017F;agte &#x017F;ie, indem &#x017F;ie mich in die Stube fu&#x0364;hr¬<lb/>
te, aber er hat eine Vogelhecke darunter, die<lb/>
mo&#x0364;chten hervorfliegen und einen verteufelten<lb/>
Spuck machen: denn es &#x017F;ind lauter lo&#x017F;e Vo&#x0364;¬<lb/>
gel. Der Vater ließ &#x017F;ich den Scherz gefal¬<lb/>
len, ohne daß er recht wußte was es hei¬<lb/>
ßen &#x017F;ollte. In dem Augenblick nahm &#x017F;ie mir<lb/>
den Hut ab, machte einen Scharrfuß und<lb/>
verlangte von mir das Gleiche. Der Alte<lb/>
&#x017F;ah mich an, erkannte mich, kam aber nicht<lb/>
aus &#x017F;einer prie&#x017F;terlichen Fa&#x017F;&#x017F;ung. Ey ey!<lb/>
Herr Candidat! rief er aus, indem er einen<lb/>
drohenden Finger aufhob: Sie haben ge¬<lb/>
&#x017F;chwind umge&#x017F;attelt, und ich verliere u&#x0364;ber<lb/>
Nacht einen Gehu&#x0364;lfen, der mir er&#x017F;t ge&#x017F;tern<lb/>
&#x017F;o treulich zu&#x017F;agte, manchmal die Wochenkan¬<lb/>
zel fu&#x0364;r mich zu be&#x017F;teigen. Darauf lachte er<lb/>
von Herzen, hieß mich willkommen, und<lb/>
wir &#x017F;etzten uns zu Ti&#x017F;che. Mo&#x017F;es kam um<lb/>
vieles &#x017F;pa&#x0364;ter; denn er hatte &#x017F;ich, als der<lb/>
verzogene Ju&#x0364;ng&#x017F;te, angewo&#x0364;hnt, die Mittags¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[566/0574] ſagte ſie, indem ſie mich in die Stube fuͤhr¬ te, aber er hat eine Vogelhecke darunter, die moͤchten hervorfliegen und einen verteufelten Spuck machen: denn es ſind lauter loſe Voͤ¬ gel. Der Vater ließ ſich den Scherz gefal¬ len, ohne daß er recht wußte was es hei¬ ßen ſollte. In dem Augenblick nahm ſie mir den Hut ab, machte einen Scharrfuß und verlangte von mir das Gleiche. Der Alte ſah mich an, erkannte mich, kam aber nicht aus ſeiner prieſterlichen Faſſung. Ey ey! Herr Candidat! rief er aus, indem er einen drohenden Finger aufhob: Sie haben ge¬ ſchwind umgeſattelt, und ich verliere uͤber Nacht einen Gehuͤlfen, der mir erſt geſtern ſo treulich zuſagte, manchmal die Wochenkan¬ zel fuͤr mich zu beſteigen. Darauf lachte er von Herzen, hieß mich willkommen, und wir ſetzten uns zu Tiſche. Moſes kam um vieles ſpaͤter; denn er hatte ſich, als der verzogene Juͤngſte, angewoͤhnt, die Mittags¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/574
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/574>, abgerufen am 13.05.2024.