Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Nun erschien Wielands Uebersetzung. Sie
ward verschlungen, Freunden und Bekannten
mitgetheilt und empfohlen. Wir Deutsche
hatten den Vortheil, daß mehrere bedeutende
Werke fremder Nationen, auf eine leichte und
heitere Weise zuerst herüber gebracht wurden.
Shakspeare prosaisch übersetzt, erst durch Wie¬
land, dann durch Eschenburg, konnte als eine
allgemein verständliche und jedem Leser ge¬
mäße Lectüre sich schnell verbreiten, und gro¬
ße Wirkung hervorbringen. Ich ehre den
Rhythmus wie den Reim, wodurch Poesie
erst zur Poesie wird, aber das eigentlich tief
und gründlich Wirksame, das wahrhaft Aus¬
bildende und Fördernde ist dasjenige was vom
Dichter übrig bleibt, wenn er in Prose über¬
setzt wird. Dann bleibt der reine vollkom¬
mene Gehalt, den uns ein blendendes Aeu¬
ßere oft, wenn er fehlt, vorzuspiegeln weiß,
und wenn er gegenwärtig ist, verdeckt. Ich
halte daher, zum Anfang jugendlicher Bil¬
dung, prosaische Uebersetzungen für vortheil¬

Nun erſchien Wielands Ueberſetzung. Sie
ward verſchlungen, Freunden und Bekannten
mitgetheilt und empfohlen. Wir Deutſche
hatten den Vortheil, daß mehrere bedeutende
Werke fremder Nationen, auf eine leichte und
heitere Weiſe zuerſt heruͤber gebracht wurden.
Shakspeare proſaiſch uͤberſetzt, erſt durch Wie¬
land, dann durch Eſchenburg, konnte als eine
allgemein verſtaͤndliche und jedem Leſer ge¬
maͤße Lectuͤre ſich ſchnell verbreiten, und gro¬
ße Wirkung hervorbringen. Ich ehre den
Rhythmus wie den Reim, wodurch Poeſie
erſt zur Poeſie wird, aber das eigentlich tief
und gruͤndlich Wirkſame, das wahrhaft Aus¬
bildende und Foͤrdernde iſt dasjenige was vom
Dichter uͤbrig bleibt, wenn er in Proſe uͤber¬
ſetzt wird. Dann bleibt der reine vollkom¬
mene Gehalt, den uns ein blendendes Aeu¬
ßere oft, wenn er fehlt, vorzuſpiegeln weiß,
und wenn er gegenwaͤrtig iſt, verdeckt. Ich
halte daher, zum Anfang jugendlicher Bil¬
dung, proſaiſche Ueberſetzungen fuͤr vortheil¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0119" n="111"/>
        <p>Nun er&#x017F;chien Wielands Ueber&#x017F;etzung. Sie<lb/>
ward ver&#x017F;chlungen, Freunden und Bekannten<lb/>
mitgetheilt und empfohlen. Wir Deut&#x017F;che<lb/>
hatten den Vortheil, daß mehrere bedeutende<lb/>
Werke fremder Nationen, auf eine leichte und<lb/>
heitere Wei&#x017F;e zuer&#x017F;t heru&#x0364;ber gebracht wurden.<lb/>
Shakspeare pro&#x017F;ai&#x017F;ch u&#x0364;ber&#x017F;etzt, er&#x017F;t durch Wie¬<lb/>
land, dann durch E&#x017F;chenburg, konnte als eine<lb/>
allgemein ver&#x017F;ta&#x0364;ndliche und jedem Le&#x017F;er ge¬<lb/>
ma&#x0364;ße Lectu&#x0364;re &#x017F;ich &#x017F;chnell verbreiten, und gro¬<lb/>
ße Wirkung hervorbringen. Ich ehre den<lb/>
Rhythmus wie den Reim, wodurch Poe&#x017F;ie<lb/>
er&#x017F;t zur Poe&#x017F;ie wird, aber das eigentlich tief<lb/>
und gru&#x0364;ndlich Wirk&#x017F;ame, das wahrhaft Aus¬<lb/>
bildende und Fo&#x0364;rdernde i&#x017F;t dasjenige was vom<lb/>
Dichter u&#x0364;brig bleibt, wenn er in Pro&#x017F;e u&#x0364;ber¬<lb/>
&#x017F;etzt wird. Dann bleibt der reine vollkom¬<lb/>
mene Gehalt, den uns ein blendendes Aeu¬<lb/>
ßere oft, wenn er fehlt, vorzu&#x017F;piegeln weiß,<lb/>
und wenn er gegenwa&#x0364;rtig i&#x017F;t, verdeckt. Ich<lb/>
halte daher, zum Anfang jugendlicher Bil¬<lb/>
dung, pro&#x017F;ai&#x017F;che Ueber&#x017F;etzungen fu&#x0364;r vortheil¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0119] Nun erſchien Wielands Ueberſetzung. Sie ward verſchlungen, Freunden und Bekannten mitgetheilt und empfohlen. Wir Deutſche hatten den Vortheil, daß mehrere bedeutende Werke fremder Nationen, auf eine leichte und heitere Weiſe zuerſt heruͤber gebracht wurden. Shakspeare proſaiſch uͤberſetzt, erſt durch Wie¬ land, dann durch Eſchenburg, konnte als eine allgemein verſtaͤndliche und jedem Leſer ge¬ maͤße Lectuͤre ſich ſchnell verbreiten, und gro¬ ße Wirkung hervorbringen. Ich ehre den Rhythmus wie den Reim, wodurch Poeſie erſt zur Poeſie wird, aber das eigentlich tief und gruͤndlich Wirkſame, das wahrhaft Aus¬ bildende und Foͤrdernde iſt dasjenige was vom Dichter uͤbrig bleibt, wenn er in Proſe uͤber¬ ſetzt wird. Dann bleibt der reine vollkom¬ mene Gehalt, den uns ein blendendes Aeu¬ ßere oft, wenn er fehlt, vorzuſpiegeln weiß, und wenn er gegenwaͤrtig iſt, verdeckt. Ich halte daher, zum Anfang jugendlicher Bil¬ dung, proſaiſche Ueberſetzungen fuͤr vortheil¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/119
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/119>, abgerufen am 23.11.2024.